Donnerstag, 29. März 2012

#Piraten und #Schuldenbremse, alternativlos und falsch

Dürfen sich Parlamente und Staaten selbst kasteien?Dürfen sie Regelungen treffen, die zukünftig nur noch durch zweidrittel-Mehrheiten in einer oder mehreren Kammern änderbar sind?
Die demokratische Legitimation leidet darunter nicht, bleibt das Parlament doch gemäß allen Wahlrechtsgrundsätzen der Bundesrepublik Deutschland gewählt und gibt sich seine Arbeitsweise in freier, recht autonomer Entscheidung in einer Geschäftsordnung.

Ein Beispiel für die Relevanz der Frage sind die ersten 20 Artikel des Grundgesetzes zusammen mit dem "Ewigkeitsartikel": Letzterer legt fest, so wurde es zumindest von bildungsinsitutionellen Multiplikatoren stets verkündet, dass die ersten 20 Artikel der Verfassung letztlich gar nicht geändert - und damit auch nicht abgeschafft - werden können. Ursache, Idee und Wirkung unbeachtet. Zu obigem gehören dann auch das Rechtsstaats-, Bundesstaats und Sozialstaatsprinzip.
Beschlossen wurde das Grundgesetz vom parlamentarischen Rat.
Es gibt aber noch einen anderen Artikel der sinngemäß besagt, das "Deutsche Volk" könne sich in Volksabstimmung selbst eine neue, die alte Verfassung ersetzende, Verfassung geben.
Damit sind natürlich sofort auch die alten ersten zwanzig sowie der "Ewigkeitsartikel" hinfällig.



Ein weiteres Beispiel waren die Föderalismusreformen I und II, welche mit zweidrittel-Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat implementiert wurden.

Nun die "Schuldenbremse", welche in Bundes- und Landesverfassungen weitgehend implementiert sind und erst später zu wirken beginnen.
Dabei besteht ein das Parlament und seine frei-gewählten Abgeordneten begrenzender Automatismus welcher so gesehen aber nicht neu ist: Auch gegen oben genannte Artikel des Grundgesetzes kann und darf ein Parlament nicht nur keine Gesetze erlassen, es kann sie auch nicht ändern oder die Regierung beauftragen oder deren Verhalten billigen, sich in exekutiver Funktion gegen das Grundgesetz zu verhalten.
Damit begrenzt man sich auch dort notwendig selbst.
Allerdings sind diese Regelungen schon so unkonkret, dass es großer Ignoranz, Dummheit oder Absicht bedarf um sich diesen zuwider zu verhalten. Auch dafür gibt es Beispiele.
Das Eklatanteste der letzten Jahre war wohl das "Luftsicherheitsgesetz" (LuftSiG), welches am Ende nur durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) negiert wurde - oder auch die "Rasterfahnung für PKW-Kennzeichen".

Ein Gesetzgeber benötigt, so war die bisherige Lesart, auch die "Budgethoheit", also das "Haushaltsrecht" um nicht nur gewisse Vorhaben umsetzen zu können oder die Möglichkeit einer Umsetzung ins Auge fassen zu können; das Budgetrecht des Parlaments galt als "Königsrecht des Parlaments".
Wie hohl und altbacken, eigentlich aber auch schonwieder revolutionär und renitent, müssen solche Aussagen nach Regierungsperiode der Großen Koalition klingen. In dieser wurde die "Schuldenbremse" für das Grundgesetz beschlossen und implementiert.
Es kastriert letztlich absichtlich den Gesetzgeber, also Regierung und Parlament, aufgrund in der Verfassung recht deutlich und zahlenklar vorgegebener Bestimmungen. Auch vorher gab es Regelungen zur Neuverschuldung - diese waren aber eher schwammig und unklar. So durfte die "Summe der Neuverschuldung nicht die Summe der Investitionen" übersteigen. Auch damals, wie bspw. argumentativ heute auch in NRW, war unklar, was eigentlich als "konsumptive Schulden" und was als "investive Schulden", also "Investitionen", zu gelten habe.
Kann man Schulden im Gesundheitssystem als Investitionen verstehen, wenn die durchschnittliche Gesundheit aller Einwohner steigt, die späteren Interventionskosten sinken, Menschen länger gesund sind, daher länger arbeiten können?
Im Bildungsbereich bestreitet wohl kaum jemand die Notwendigkeit oder den Nutzen höherer Ausgaben, vulgo: Schulden, weil es ja angeblich eine "Investition in die Zukunft" sei. Das kommt dann aber gerade von denen, die sonst die "natürliche Begrenztheit" des Menschen zelebrieren. Wobei die Hysterie um angeblich notwendig steigende Bildung immernoch nicht abflachte oder abebbte. Auch nicht, da längst erkennbar ist, dass mehr Zertifikateerwerber, nichts anderes sind Schulabschlüsse, nicht nur nicht zu einer allgemein gestiegenen Bildung der Gesellschaft führen müssen, sondern dies in einer angeblich überall auf den Marktausgleich zwischen Angebot und Nachfrage bedachten und zielenden Wirtschaft letztlich zur Entwertung des einzelnen Abschlusses und des jeweiligen Menschen führt.
Stichwort "Abiturschwemme", "Studierendenschwemme", etc. Nutzt sicher, um schnell viele Menschen auf den (ersten) Arbeitsmarkt zu bringen, macht für die einzelnen Menschen aber wenig Sinn, da sich die notwendige Konkurrenz allein schon aufgrund zunehmender Zahl einseitig zu ihren Lasten auswirkt.

Der "Fiskalpakt" innerhalb der daran teilnehmenden Eurostaaten und perspektivisch die gesamte EU wirkt im Übrigen sehr ähnlich wie die Schuldenbremse allein.

Andreas Augustin, Neu-MdL im Saarland, äußerte gegenüber SpiegelOnline, "Das Wichtigste" sei "die Schuldenbremse.".
Dies ist aus mehreren Gründen interessant.
Erstens die Frage, inwiefern er damit ein Meinungsbild seiner gesamten Partei abgibt. Für eine "Schuldenbremse" braucht es keinerlei Piraten in irgendwelchen Parlamenten - dafür dürften sie auch nicht gewählt worden sein.
Seit Jahren werden solcherart "Konzepte" von rechts-konservativen, liberalen, also dem was sich selbst "bürgerlich" nennt, und einem Großteil angeblich "linker Parteien" wie SPD und Grüne vorangetrieben. Daher ist von einer Implementierung in letztlich allen Landesparlamenten auszugehen, selbst wenn sich der Zeitgeist doch noch einmal ein stückweit von der einseitigen Befürwortung solcher Maßnahmen abwenden sollte.
Dass, zweitens, "Schulden" auch immer "Vermögen", Gewinne und Sparguthaben sind sollte mittlerweile bekannt sein und darf man als in einer bilanziell-arbeitenden (Betriebs-)Wirtschaft wohl als bekannt und gegeben annehmen. Nur wird dies leider gerne und häufig unterschlagen, so als seien "Privatvermögen" kein Äquivalent zu "öffentlichen" oder "staatlichen Schulden".
Ja, was denn sonst? Gibt es zwei Kuchen, aus denen man jeweils Stück herausschneiden kann? Zwei deutsche Volkswirtschaften?

Nicht nur anhand der "Schuldenbremse" als "das Wichtigste" wird eine interessante Kontroverse, sofern sich weiter formierend, innerhalb der Piratenpartei deutlich: Sebastian Nerz, Bundesvorsitzender, äußerte in der FAZ (im Blog besprochen) eine Hoffnung auf "Nachhaltigkeit" und damit verbunden dem "Ende der Party". Dabei blieb er recht unkonkret und bezog sich auf das, was die Grünen auch schon sehr gut konnten und können: Fatalismus.
Vielleicht irre ich mich, allerdings dürfte unsere Gesellschaft nicht an fehlenden "seltenen Erden" für IPads oder fiktive Aufrechnungen von Renten und Pensionen als Schulden, ohne die Vermögen dagegen zu betrachten, zugrunde gehen - dabei gab es schon Bankenkrisen, Liquiditätskrisen, es gibt angebliche "Klimakrisen", "demografische Krisen" und so fort.
Also auch das Thema "Nachhaltigkeit" eines, bei dem es der Partei jedenfalls nicht gelingen dürfte große mediale Präsenz und ein "Themenbesatz" zu erreichen - egal wie bürgerlich und (rechts-)Konservativ einige Grüne auch werden dürften. Vermittels Schwarz-Grün, von diversen Leuten angestrebt, dürfte sich mit Menschen wie Röttgen ohnehin einiges mehr machen lassen, als bislang abgesehen. Sowas wird dann entweder, wie Rot-Grün, dramatisch überzeichnet und als "Generationenprojekt" verkauft oder es geht sang und klanglos unter.

Die Schuldenbremse und eigentlich alle Selbst-Festlegungen des Parlaments widersprechen aber eigentlich grundlegend einer Auffassung dieser "neuen Gruppierung", die so neu gar nicht ist: Es heisse, die Menschen wollten ab und an abstimmen, mitreden und mitentscheiden und nicht nur alle vier oder fünf Jahre ihre Stimme delegieren, "abgeben", und dann sehen, wie irgendetwas "über ihren Kopf hinweg" entschieden wird.
Die "Schuldenbremse" ist damit eigentlich, will man diesen Stil mal anwenden, ein Teil der "Politik 1.0", u.a. Piraten wollten aber angeblich etwas mehr "Politik 2.0". Wie soll das aber funktionieren, wenn Ausgabenmaxima bereits festgelegt sind?
Es geht hier nicht darum, angeblich "ausufernder Verschuldung" das Wort zu reden, es geht um die Struktur, die Funktion, den Punkt.
Nämlich dass einer Sache zugestimmt wird, die nicht nur parlamentarische Beschlussfassungen von vornherein ausschließt - die Landesverfassungsgerichte müssten solche (Haushalts-)Gesetze im Zweifel negieren -, sondern auch fiktive "Volkswillen" erst gar nicht mehr zur Geltung kommen lässt, ja ihnen Notwendigkeit abstreitet.
Man könnte ja auch sagen, "das Volk" sei so aufmerksam und artikulationsaffin, dass es nur "mehr Beteiligung am politischen Prozess" benötigte um dann auch "richtige" oder "bessere Entscheidungen" zu treffen.

Darf sich ein Volk in freien, fairen Wahlen und mit angemessener Beteiligung, die in unserem System selbst durch Quoren nur leidlich vorausgesetzt werden, nicht "bis über beide Ohren verschulden"?
Und warum nicht?
Da gab es dann mal eine vorherige Generation die entschied, dass nachfolgende eine Sache eben nicht tun sollten. Aufheben kann man das nur noch durch einen recht "übermäßigen gesellschaftlichen Konsens", vorallem widerstrebender Interessen.
Warum also zunächst so ein Instrumentarium einfügen?
Widersprechen sich Parteien, die angeblich an "den Schwarm" oder eine "Massenintelligenz" glauben, damit nicht selbst?
Und weshalb nun ins andere Extrem verfallen, wenn man den problematischen Status Quo erkannte und kritisiert?
Dass man dem politischen System vielleicht "wenig zutrauen" kann ist nicht die Frage oder das Problem - die Haushaltssalden der letzten Jahrzehnte können da Bände sprechen.
Weshalb aber nicht mehr Beteiligung, mehr Plebiszite durchsetzen und anwenden und dann den Menschen klar machen, dass es ihre Entscheidung für sich und ihre Kinder braucht und keinen ein Mal gesetzten Willen der dann für längere Zeit qua Hürden und Quoren institutionalisiert wird?
Ist ja schon lächerlich: Regierungen können in unserem politischen System für nicht einmal mehr die Hälfte aller wahlberechtigten Einwohner eines Landes, vgl. Sachsen-Anhalt, stehen. Weil die Wahlbeteiligung einfach so niedrig ist.
Dies widerspricht doch aber dem allseits gepriesenen, mündigen und beteiligungsfreudigen Bürger.
Dies zu nehmen und statt bspw. einer Art "höherem Quorum" oder einer "Wahlpflicht" eine "Schuldenbremse" einzuführen und dem zuzustimmen ist nicht weniger "entmündigend" und "obrigkeitsstaatlich".
Es löst vorallem u.a. das Problem der nicht vorhandenen "ausreichenden Legitimation der Zahl", siehe oben, nicht.

Nicht nur, dass die Piratenpartei für die Diskussion der "Schuldenbremse" nicht gebraucht wird, sie wird auch ohne sie schlussendlich überall eingeführt werden, sie widerspricht auch eigentlich zentralen Ansichten dieser Gruppierung.
Wohin das führt lässt sich bei Atomkraftwerken und dem unendgelagerten Atommüll sehen, der über Jahrzehnte hinweg auf Basis weniger damaliger aber folgenreicher Beschlüsse angehäuft wurde. Der "Atomausstieg" nützt auch da wenig, da man sich am Beginn der Nutzung zu wenige Gedanken um Folgen machte. Viel mehr noch gab es bis Tschernobyl, Harrisbourgh oder Fukushima letztlich keine ernstzunehmende mehrheitliche Gegnerschaft innerhalb der BRD. Oder auch nur Diskussionen oder Aufbegehren zu der Frage, was denn mit dem Müll geschehen solle, der ja produziert sei und abgearbeitet oder gelagert werden müsse.

Festlegungen, eigentlich gut gemeint, erübrigen eben nicht das, was allerorten eigentlich gewünscht ist: Mehr Beteiligung im Prozess. Während er andauert. Und ein (politisches) System, welches Fehler zulässt, sie bis zu einem Punkt toleriert und in sich selbst oder von außen angestoßen fähig ist zur Korrektur.
Genau das ist bei Dingen wie der Schuldenbremse, anhand ihrer hoch-quoralen Implementierung, oder der Atomkraft, wegen des tausende Jahre strahlenden Abfalls, eben nicht geschehen und nur teilweise möglich.
Was aber möglich ist, zeigt sich doch in Kommunen: Bürgerhaushalte. Aber auch hier werden grundsätzliche Dilemmata deutlich. Viele der "Engagierten" stammen ohnehin aus "interessierten" Schichten, die sich auch bei Parlamentsabgeordneten melden. Oder die ein spezifisches Interesse durchsetzen wollen. Die Beteiligungsquoten sind, bei einigen positiven Ausreißern, auch dort nicht "die Welt".
Diese sind aber wenigstens noch halbwegs progressive und demokratische Elemente einem Problem wie "Verschuldung" beizukommen - jeder kann Vorschläge einbringen, sie anhören, diskutieren und dann abstimmen.
Das alles ist bei einer "Schuldenbremse" nicht mehr möglich, denn diese schreibt gewisse Dinge zwingend vor.Sie restriktiert im Übrigen auch Denkprozesse fundamental und wäre daher sogar stückweit als "illiberal" zu bezeichnen: Wenn etwas ohnehin nicht durchsetzungsfähig erscheint, weil es zwar prinzipiell immer möglich ist, siehe obige Einlassungen zum Grundgesetz, aber durch die absichtlich eingebauten Hürden jedenfalls momentan nicht wahrscheinlich erscheint es umzusetzen oder die Hürden abzubauen, konzentriert man sich eben auf das "Machbare".
Worte wie "Alternativlosigkeit", die ja von vielen so harsch zurecht kritisiert wurden und werden, liegen dabei auch nicht fern.

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