Freitag, 17. Februar 2012

Multiples Possenspiel


Heute ging wieder einmal eine Posse bundesdeutscher Politik zuende.
Eine andere fand nur ein neues Kapitel.

Nach gestriger Veröffentlichung eines Immunitätsaufhebungsantrags gegen Bundespräsident Christian Wulff trat ebendieser am 17 Februar 2012 zurück.

Das Amt des Bundespräsidenten besteht indes weiterhin.

Der Bundespräsident wird in Deutschland nicht direkt, sondern durch die aus Mitgliedern des Bundestages und der Länder bzw. ausgewählter Vertreter zusammengesetzte Bundesversammlung gewählt.
Diese wiederum kann daher nicht parteipolitisch neutral sein, gab und gibt es doch immer wieder Berichte über "Anfragen" bzw. Auswahlverfahren für die Vertreter der Parteien in der Bundesversammlung.

Meiner seit Jahren vertretenen Ansicht nach benötigt es das Amt des Bundespräsidenten nicht mehr. Historisch lassen sich "Sternstunden" wie grausame "Versagen" bei der Ausfertigung bundesdeutscher Gesetze finden. Schlussendlich entscheidet regelhaft das Bundesverfassungsgericht. Repräsentation wird häufiger und intensiver längst durch das Auswärtige Amt bzw. auch gerade durch das Kanzleramt ausgefüllt. Die unrühmliche Parlamentsauflösung durch Horst Köhler ist ohnehin längst vergessen, genau wie Köhler selbst.
So hält sich hartnäckig das Gerücht er sei "zu sensibel" einerseits, andererseits habe er damals nur das kundgetan, was ohnehin "stimme" oder "richtig" sei.
Dabei wird vergessen oder ignoriert, dass er die Intervention in Afghanistan auch mit wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland begründete, mindestens verteidigte. Die BRD darf aber laut Verfassung, Grundgesetz (GG), nicht nur keine Angriffs- sondern auch keine Wirtschafts- oder Ressourcenkriege führen.

Ein Staatsoberhaupt, welches sich so eklatant entgegen verfassungstheoretischer Regularien äußert ist tatsächlich "untragbar". Ohne eigenen Rücktritt hätte damals eigentlich eine Präsidentenanklage erwogen werden müssen.

Was Wulff angeht schien mir das Bild mit Frau Wulff heute fast schon "tragisch".
In der gesamten Zeit kam mir die Auffassung einer "medialen Unfähigkeit" im Umgang mit den Vorwürfen, welche so einfach aber auch nicht zu hegen sein darf, wie es gerade in "populären" Talkshows vielfach geschieht.
Weiß man über Intransparenzen, Unklarheiten, gar "Verfehlungen" selbst bescheid, weiß also, dass man Urlaub machte ohne zu zahlen oder anonyme Barschecks annahm, so kann und darf man nicht daran interessiert sein alles zuzugeben.
Es wird ja vielfach behauptet, er sei "selbst schuld" und hätte eine "Salamitaktik" betrieben.

Meine These: Anders war es gar nicht möglich.
Wie sähe die Alternative aus? Man müsste nicht nur Dinge, die medial und öffentlich bereits bekannt sind allumfänglich erklären, sondern auch Dinge, die sich aus diesen Erklärungen ergeben. Und "ergeben könnten". Dies geht immer weiter ins Spekulative.
Im Kern war die "Causa Wulff" ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu stoppen und erfuhr eine Eigendynamik. Gerade wenn (populäre) Medien am Ball bleiben und in gewisser Regelmäßigkeit Dinge nachschieben setzt ein "richtiges Maß" zwischen Skandalisierung und Ermüdung ein.
Überhaupt ist die Sprachkonstruktion "Causa Wulff" nicht uninteressant. Hier wollten sich vermutlich einige einen seriösen Anstrich verpassen, war dieser Begriff doch nicht von Anfang an im Gespräch und Verwendung.
Im Übrigen bezweifle ich, dass es ab oben genanntem "Point of no return" überhaupt möglich gewesen wäre überhaupt soetwas wie "Ruhe" zu erreichen. Viele meinen ja, es hätte zu geringerem "journalistischem Eifer" geführt, sofern Wulff bei seinem Privatkredit schon sehr viel offener gewesen wäre.
Nur ist unklar wie es dann weitergegangen wäre, ob nicht andere Feinde, Freunde oder "Parteifreunde" weitere Details durchgesteckt hätten. In verschiedenen Dokumentationen ist die Rede von Kritik am Lebensstil Wulffs seitens "Parteifreunden" - Journalisten seien darauf verwiesen worden, sich doch mal sein neues Haus näher anzusehen.

Solche Informationen kommen von wissenden Menschen, mindestens solchen mit Eigeninteressen.
Diese werden sich immer finden. Selbst wenn Wulff den Kredit von Herrn Gerkens eingeräumt und auch noch auf das vorangegangene zinsgünstige Darlehen verwiesen hätte, hätte jemand auf Herrn Maschmeier und andere "Freunde" diverser Politiker verweisen können.
Wie bei Guttenberg: Er war das offensichtlichste und eindringlichste Beispiel für eine plagierte Arbeit doch ist dieses Phänomen grundhaft sehr viel weiter verbreitet, wie man später an Koch-Mehrin, andere SPD-Abgeordnete, weitere FDP-Abgeordnete und Professoren sehen konnte.
Im Allgemeinen dürfte just diese Angelegenheit deutlich weiter verbreitet sein als angenommen.
Weshalb anzunehmen ist, dass sich Dinge wie bei Wulff auch bei diversen anderen Politikern finden lassen, wenn man genauer danach sucht.

Seine Rücktrittsrede hörte und sah sich wie eine strukturelle Kopie derer Herrn zu Guttenbergs an.
Er tritt zurück, obwohl er sich selbst "im Recht sieht" und keinerlei Recht und Gesetz gebrochen habe. Dies werde sich u.a. auch durch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen erweisen.
Kein Schuldbewusstsein, könnte man meinen, vielleicht auch schon schleichender Realitätsverlust.
Wie beim ehemaligen IWF-Chef Strauss-Kahn erfolgt ein Rücktritt eines von sich und der Richtigkeit des eigenen Handelns überzeugten Person.

Eine weitere These: Irgendwie werden Ämter und Personen sowie dahinterstehende Symbole stärker aufgeladen und -geblasen.
Falls Wulff von der Staatsanwaltschaft tatsächlich entlastet werden sollte, was weiterhin möglich und aufgrund einer bis zu 80 prozentigen dafürsprechenden Wahrscheinlichkeit nicht unrealistisch erscheint, kann und wird er trotzdem nicht in dieses Amt zurückkehren können. Strauss-Kahn mag ein "aggressives Sexualleben" pflegen; ein Schuldspruch bzgl. der Vergewaltigung aufgrund derer er sein Amt aufgab bzw. "aufgeben musste" erging nicht.
Damit werden, ich meine systematisch, Unschuldsvermutungen aufgehoben. Oder präziser: Die Unschuldsvermutung, jemand sei solange unschuldig bis seine Schuld von einem Gericht festgestellt sei, und die Suche nach gegenteiligen Beweisen ist mit einem solchen Staatsamt nicht vereinbar.
Das bedeutet aber auch: Ein "normaler Mensch" kann ein solches Amt eigentlich nicht antreten (wollen), da wohl kaum jemand so honorig, ehrlich und "unbeschadet" durch das eigene Leben kam, dass nicht irgendetwas zu finden wäre.
Das heisst gerade nicht, ich glaubte an eine "Medienkampagne" oder eine "Verschwörung".

Aber Fakt ist, ein Verfahren zum Beleg einer "Schuld" Wulffs konnte gar nicht angetreten werden, zumindest nicht im Amt selbst. Das bedeutet, dass solch ein Amt erst aufgegeben oder verloren werden muss, bevor es zur Klärung der eigentlichen Gründe, Parameter oder Sachthemen kommen kann/soll um eine spätere Amtsenthebung bzw. selbsttätigen Amtsverlust rechtfertigen soll.
Ich gehe soweit dies als "Unkultur" zu bezeichnen und würde auch am Rechtsstaat zweifeln. So äußerte sich Kubicki (FDP), für ihn sei es "unvorstellbar", dass ein Bundespräsident im Amt bleiben könne, wenn gegen ihn als "Beschuldigter" ermittelt werde.
Eben, genau das: Als "Beschuldigter", der eben NICHT verurteilt war oder ist.
Auch heute, jetzt, nach Rücktritt Wullfs sind die relevanten Fragen der Staatsanwaltschaft nicht aufgeklärt, in welcher Folge Wullf das Amt aber niederlegen musste.

Solche Aktionen legen Messlatten höher.
Sie bedingen, dass auch beim nächsten Bundespräsidenten mindestens dieselben Anforderungen bzw. Erwartungen an einen frühzeitigeren Rücktritt erhoben werden. Auch das regt Medien in der politischen Kultur an, deutlich schärfer im Ton zu kommunizieren und stringenter zu hinterfragen.
Solche Messlatten und deren Höhen verhindern aber auch weiterhin und offensichtlich rechtsstaatlich gebotene Verfahren.
Ein Mensch muss sein Amt niederlegen, so wird es öffentlich verkauft, sofern es auch nur einen "Verdacht" gibt. Dabei kann praktisch jeder jederzeit Verdachte gegen andere Menschen aussprechen.
In diesem Falle, genau wie bei Strauss-Kahn, gelten meiner Ansicht nach grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien nicht mehr.
Es mag für viele "untragbar" sein, einen Bundespräsidenten zu ertragen gegen den ermittelt wird, diese "Vielen" sind es aber auch, die am Ende sich und den Rechtsstaat diskretitieren. Denn es fällt ihnen später zunehmend schwerer zu erklären, weshalb es bei jemand anderem, ihnen selbst, oder bei anderen Themen nun gerade nicht "untragbar" sein sollte.

Hier scheint sich eine "politische Klasse" um sich selbst und ihre Symbole zu drehen.
Dies ging Jahrezehnte lang gut, aber wird es das auch noch in den Kommenden tun?
Vielerorts und in wissenschaftlichen wie politischen Kreisen wird ja momentan und seit geraumer Zeit über die "Wandlung des politischen Systems" bzw. der "politischen Kultur" mittels "digitaler Kommunikation", "digitaler Medien/soziale Netzwerke", Internet oder Piratenpartei, S21, etc. diskutiert.
Irgendwie bezweifle ich, dass es dauerhaft so weiter gehen wird - eventuell mündet dies irgendwann doch in eine "Volkswahl", also letztlich wie bei Bundes- und Landtagswahlen Wahl durch "mehrheitliche Minderheit", oder Abschaffung des Amtes selbst, kommt auf die Integrations- und Kompromissfähigkeit bisheriger bzw. herrschender Eliten und aufstrebender Eliten und deren Sendungs- und Veränderungsbewusstsein an.