Freitag, 30. Oktober 2009

Ein Hauch Schleswig-Holstein in Thüringen

Als ich heute von der von vielen als "katastrophal" bezeichneten Ministerpräsidentinnenwahl in Thüringen hörte, kam ich zunächst zu einer klaren Einschätzung.

Christine Lieberknecht (CDU) wurde heute, 30.10.2009, zur Ministerpräsidentin des Landes Thüringen gewählt.
Die erforderliche einfache Mehrheit erreichte sie in hoher Zahl im dritten Wahlgang; in beiden vorhergehenden Wahlgängen wurden die jeweils erforderlichen absoluten Mehrheiten um eine Stimme verfehlt.

Das bedeutet, dass die "Große Koalition" aus SPD und CDU in Thüringen bei der Wahl der Regierungschefin keine eigene Mehrheit zustande brachte.

Im dritten Wahlgang stellte sich Bodo Ramelow (Linke) dann zusätzlich zur Wahl; vermutlich machte es das der FDP leichter die einfache Mehrheit für Schwarz-Rot zu sichern, sind 55 Stimmen doch nicht allein aus dem Lager der beiden genannten Parteien erreichbar. (1)
In diesem dritten Wahlgang enthielten sich fünf Abgeordnete, mutmaßlich jene der Koalitionsfraktionen, stimmten aber auch mutmaßlich sieben Abgeordnete der Oppositon zu.

Die fast unvermeidlichen Parallelen zu Heide Simonis' Niederlage in Schleswig-Holstein in vier Wahlgängen wird nach Hessen erneut strapaziert.

Interessant ist schon, dass die Koalitionsfraktionen keine eigene absolute Mehrheit zustande bringen können. Mutmaßlich wird dies zwar nach der Ministerpräsidentinnenwahl besser gelingen und das heutige Verhalten daher als "Denkzettelwahl" zu verstehen sein. Doch zeigt eine Interpretation dieses Verhaltens aus der jeweiligen Position interessantes auf.

Meine erste Interpretation war - fast natürlich - die "abweichende", besser ablehnende, Stimme in Reihen der SPD-Fraktion des Thüringer Landtages zu vermuten.
Meine Grundthese geht seit Monaten von einer in sich stark gespaltenen SPD aus. In Fraktionen, Partei, Mitgliedschaft und Wählerbasis ist das Verhältnis zur Linkspartei seit Jahren ungeklärt.
Hinzukommt, dass die SPD zumindest momentan Machtperspektiven glaubwürdig nur mit der Linkspartei kommunizieren und erreichen kann.
Im Lande Schleswig-Holstein ließ sich die eine notwendige Stimme auch im vierten Wahlgang nicht mobilisieren, obgleich Vorstand und Fraktion den Abgeordneten sicher "ins Gewissen" redeten.
Es war ein geplantes, gewolltes Scheitern der damaligen Koalitionsoption.
Damals stand auch nicht wenig auf dem Spiel: Das Scheitern einer Koalition, einer Machtperspektive ohne den großen Konkurrenten CDU, mehr Geld und Posten für die SPD sowie Ansehen und Wirkung der Ministerpräsidentin-Kandidatin Heide Simonis.
Das alles genügte nicht, das Abstimmungsverhalten dieser einen Person zu ändern.
Der normalerweise vorhandene "Fraktionszwang" schien keinerlei Geltung zu haben, wie es bzgl. freien und geheimen Wahlen verfassungsmäßig originär so angelegt ist.
Realitär steht sie natürlich trotzdem regelhaft.

In Hessen gingen einen Tag vor der gewollten Wahl Andrea Ypsilantis zur Ministerpräsidentin vier SPD-Abgeordnete vor die Presse und verkündeten, diese Wahl nicht goutieren zu können und damit dagegen stimmen zu müssen.
Hierbei muss davon ausgegangen werden, dass viele Gesprächsangebote zwischen den Beteiligten entweder ausgeschlagen oder ohne positives Ergebnis für Ypsilanti beendet wurden.
Also wurde auch hier ein Scheitern der Partei, der Koalition, Macht- und Geldzuwachs, etc. vollkommen absichtlich kalkuliert.
Die meisten Medien goutierten dieses Verhalten und stilisierten die vier Abgeordneten fast zu "Märrtyrern" empor.

Heute nun Thüringen.
Ich gehe - entgegen Matschies (SPD) Beteuerungen, die SPD habe in jedem Wahlgang "gestanden", davon aus, die eine jeweils fehlende Stimme in der SPD-Fraktion verorten zu können.
Offensichtlich war nicht geplant und gewollt, die Koaltion gänzlich scheitern zu lassen, sonst hätten in den ersten Wahlgängen noch deutlich mehr Abgeordnete dagegen stimmen können oder müssen.
Eine Stimme birgt eine gewisse Dramatik und zeigt den Beteiligten, dass es noch "Rettungsoptionen" für ihren Weg geben kann.
Hätte es aus den Reihen der Koalitionsfraktionen in den ersten beiden Wahlgängen vier, fünf oder gar mehr Stimmen dagegen gegeben, hätte man ein Scheitern wohl deutlich schneller kommuniziert und den Wahlakt zumindest vertagt.

Nun ist die Motivation dieser einen Stimme für einen weiteren Punkt interessant: Gibt oder gab es mglw. noch mehr Abgeordnete, die sich ähnlich verhalten hätten, es wollten und es am Ende doch nur zu einer Gegenstimme aus den Reihen kam?
Wenn der Abgeordnete bspw. eher dem Lager angehörte, die zur "Erfüllung des Wahlauftrages der SPD" eine Koalition mit Grünen und Linken als notwendig oder sinnvoll ansah/ansieht, so ist wohl nicht davon auszugehen, dass er als einziger Abgeordneter so denkt.
Wenn dem so wäre, müsste man das als gewollten Denkzettel ohne kalkuliertes Scheitern-lassen der Koalition und Parteispitzen ansehen. Stünde er allein und wäre sich dessen bewusst - was durch fraktionsinterne Gespräche wohl irgendwann klar werden sollte - hätte er auch zustimmen oder sich die Zustimmung "erleichtern" lassen können.

Gäbe es einen anderen Grund für einen SPD-Abgeordneten dem Wahlakt nicht zuzustimmen?
Ich sehe keinen.
Es gab nebst einer Großen Koalition keine Machtperspektive der SPD. Die Grünen wollten oder konnten nicht in eine Koalition mit der Linkspartei eintreten, dies war spätestens mit der Wahl der Fraktionsvorsitzenden und parteiinternen Auseinandersetzungen klar.
Für Schwarz/Gelb oder gar Jamaika reichte es nicht, bzw. wären die Gräben auch hier zu groß gewesen.

Es war für beide Parteien, CDU und SPD, vollkommen klar, dass dieses Bündnis das einzig machbare und sinnvolle für sie und das Land Thüringen sei, wollte man eine Neuwahl vermeiden.
So lässt sich - in Verbindung mit obiger Argumentation - vermutlich auch die geringe, also genau eine, Ablehnerzahl erklären.
Es war eben doch klar, dass es am Ende zu einer solchen Verbindung kommen muss oder komme und andere Optionen nicht realistisch waren.
So konnte auch davon ausgegangen werden, dass Bodo Ramelow im dritten Wahlgang nicht gewählt werden würde.
Im diesem dritten Wahlgang wiederum enthielten sich deutlich mehr Abgeordnete aus Reihen der Koalitionsfraktionen und stimmten offensichtlich mehrere Oppositionsabgeordnete für Lieberknecht.
Daraus kann man nicht schlussfolgern, dass die Enthaltungen eher in Richtung Linkspartei, resp. Ramelow, tendierten, doch muss es eine gewisse "Sicherheit" gegeben haben, die relative Mehrheit auch ohne die eignen Stimmen zu erhalten, sonst hätten sie die Koalition riskiert.
Was in den ersten beiden Wahlgängen, wie oben dargetan, nicht beabsichtigt war.
Somit muss man den Enthaltungen im letzten Wahlgang auch eine gewisse Bedeutung beimessen, hätten sie doch auch stimmen können wie zuvor.

Meine erste Aussage war:
So ist es eben.
Die "Parteirechte" in der SPD lässt eben auch Koalitionen scheitern, wenn es nützt. So Hessen und Schleswig-Holstein.
Die Parteilinke allerdings, so von mir sehr einfach und oberflächlich gemutmaßt, nicht.
Allerdings bedachte ich dabei die unterschiedlichen Verfassungstexte der einzelnen Länder nicht.
Gerade weil Konflikte und "Kämpfe" um Abstimmungen und Richtungen von Seiten der "Parteilinken" als "brutale Machtkämpfe", so bspw. Christoph Matschie beim Unmut über seine Entscheidung in eine Schwarz/Rote-Koalition einzutreten, gebrandtmarkt werden, während die Parteimitte oder "Parteirechte" solches als "notwendige individuelle Entscheidungsfreiheit" darzustellen und medial zu verbreiten und kommunizieren vermag.
Hier scheint es mir eine Asymmetrie in Wahrnehmung und Interpretation durch die Medien zu geben, doch müsste man solches an längerfristigen Betrachtungen zeigen und belegen.
Fakt ist aber, dass es in der SPD "echte linke" Entscheidungen oder Schwenks von einmal anders getroffenen Entscheidungen so häufig in den letzten Jahren nicht gab, wenn andere auch behaupten die SPD vollführe ständig Linksschwenks, nur weil bspw. eine Privatisierung der Deutschen Bahn - zu Schleuderpreisen - zumindest temporär verhindert werden konnte.


Die andere Möglichkeit wäre eine Ablehnung eines Abgeordneten der CDU-Fraktion.
Hierbei gingen Kommentatoren frühzeitig auf den Fakt der Ablösung Dieter Althaus' ein. Lieberknecht habe diese relativ offensiv und positiv konnotiert betrieben und Anhängern von Althaus daher - auch durch die Nicht-Nominierung der Ministerriege - negativ gegenübergestanden habe.
Ihr Auftreten und Verhalten hätten somit mit zu der Ablehnung durch einen Abgeordneten beigetragen.

Diese Erklärung ist nicht unsinnig und daher möglich.
Allerdings erklärt dies die größere Zahl der Enthaltungen im dritten Wahlgang nur bedingt; ist es realistisch, dass große Teile der CDU-Fraktion bei einer Kandidatur Ramelows nicht zustimmen?
Und vorallem: Weshalb sollte deren Zahl gerade im dritten Wahlgang wachsen?
Oder enthielten sich im dritten Wahlgang einige SPD-Abgeordnete, während ein CDU-Abgeordneter dieses durch sein Abstimmungsverhalten in den ersten beiden Wahlgängen überhaupt ermöglichte?

Selbst wenn es eine Partei und Fraktion war, die "geschlossen" - was im Allgemeinen immer eher fragwürdig anmutet - hinter dem ehemaligen Ministerpräsidenten Althaus stand, war doch eindeutig und unverkennbar, dass ebendieser Althaus nicht weiter würde Ministerpräsident bleiben können.
Und es sollte klar gewesen sein, dass eine Regierung und Koalition nur unter Mitarbeit der SPD zustande käme.
Das Verhalten des Abgeordneten wäre so betrachtet ein "Denkzettel" in die eigenen Reihen und gegenüber dem Partei- und Fraktionsvorstand sowie mglw. gegenüber Lieberknecht selbst.
Selbst wenn dem ebenso eine gewisse Plausibilität beigemessen werden muss, erklärt das nicht die große Zahl der Enthaltungen im dritten Wahlgang, außer die Fraktion und Partei hätte doch größere Probleme als eben nur einen Abgeordneten.


Welche die korrekte Erklärung ist oder wo die wirklichen Gründe liegen, wird man wie in Schleswig-Holstein nicht erfahren.
Fakt ist aber, dass geheime, individuelle Abstimmungen ungefilterte Meinungsäußerungen darstellen können und daher in ihrer Bedeutung für eine Partei oder ihren Kurs resp. das Kräfteverhältnis in dieser nicht unterschätzt werden sollte.
Das hessische Beispiel steht für mich für ein Menetekel der letzten und vermutlich noch einige weitere kommenden Jahre.

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(1): hen/AP/dpa: Thüringer Ministerpräsidentin Lieberknecht. Chaos-Start lädiert die neue Nummer eins. in: SpiegelOnline, 30.10.2009; http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,658266,00.html. letzter Zugriff: 30.10.2009 14:40 Uhr.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Gabriels 'katastrophaler Zustand'

Ein Brandbrief von Sigmar Gabriel, designierter Parteivorsitzender der SPD, heute in der Onlineausgabe der Sueddeutschen Zeitung zusammengefasst.

Dabei schreibt er, die SPD befinde sich in einem "katastrophalen Zustand".
Weshalb eigentlich?
Was unterscheidet die SPD vom 21. Oktober 2009 von der SPD des Jahres 2009 oder 2008?
Eigentlich nur ein teilweise verändertes Personaltableau, weniger Parteimitglieder, gesunkende Staatliche Mittelzuweisung der Parteienfinanzierung und einem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis.

Die Probleme in den Kommunen sind nicht neu, es gibt teilweise nicht einmal mehr Kandidaten, die auf einer Liste der SPD für ein kommunales Mandat kandidieren wollen.
Damit löst man aber keine Probleme der Bundespartei.

Um den jungen Nachwuchs ist mir im Gegensatz zu anderen nicht bang.
Es wird sich immer jemand finden, vermutlich werden die "Karrieristen" im Gegensatz zu den "Idealisten" weiter zunehmen.
Wobei man - was ich schon seit jeher verkünde - mit Glorifizierungen vorsichtig sein sollte.
Niemand gelangt an die und bleibt an der Parteispitze, ohne an anderen Stühlen zu sägen, Mehrheiten zu organisieren und zu intrigieren.
"Den Menschen" scheint dies zuwider zu sein und nahe liegt dies mit Blick auf die Reklamation des "Allgemeinwohl" durch die Politik und also die politisch Handelnden.
Doch sie sind so wenig gemeinwohlverhaftet oder -zentriert als die "freie Wirtschaft", die auch nicht so frei ist wie sie immer benannt wird.

"In der Fläche stattfinden" wie Budde heute in einem MDR.Info-Interview aussagte erreicht man durch zweierlei: Elite- und Breitenbildung.
Elitenbildung findet durch einie Akademien, u.a. im WBH statt. Mein Eindruck ist aber, dass diese später in Landes- oder Bundespolitik gehen.
Die Breite bleibt meiner Ansicht seit Jahren zurück. Einige Ortsvereine finden gar nicht mehr statt, existieren auf dem Papier und Erleichterungen bzgl. Ebenenfusionen wurden erst zögerlich und langsam eingeführt.
Eventuell muss hier etwas am Parteistatut getan werden.

Warum will in einer Kommune - zugespitzt - niemand mehr auf oder für die SPD kandidieren?
Zum ersten das grundsätzliche Defizit in der Bedeutungswahrnehmung dieser poltischen Ebene überhaupt: Was vor Ort passiert interessiert viele nicht oder sie haben keine Zeit sich damit zu beschäftigen oder nehmen an, andere täten dies für sie.
Wie in einem repräsentativen politischen System.
Bliebe die Frage, weshalb niemand von der SPD gewählt wird.
Weil es teilweise keine Kandidaten der Partei mehr gibt, manchmal fehlen selbst rudimentäre Strukturen.
Wie kommt man dem bei?
Geld in die Hand nehmen und in die Breite investieren, viel mehr fällt mir dazu nicht ein.
Die notwendigen Mittel dürften eher knapp sein, also müssen Menschen vor Ort mobilisiert werden.
Menschen, die sich auch nur entfernt vorstellen können etwas in oder für die SPD zu tun müssen deutlich bessere Unterstützung erhalten als bisher.
Dafür ist es unzureichend, ihnen Veranstaltungseinladungen nach Berlin zu senden; keinem kommunalpolitischen Mandatsanwärter nützt dies etwas.

Findet sich dann ein möglicher Kandidat sollte ihm gezeigt werden, wie Wahlkampf kommunal abläuft, weniger wie Arbeit im Stadtrat oder in Ausschüssen funktioniert.
Das Problem scheint mir kommunalpolitisch weniger zu sein, sich in einem Amt zu halten oder in dieses aufgrund mangelnder Kompetenz hineinzuwachsen.
Letzeres kann nahezu jeder und so sollte es auch sein.
Bedeutend schwieriger dürfte es sein, ins Amt zu gelangen, also einen an kommunalen Erfordernissen orientierten Wahlkampf zu führen.
Kommt ein evtl. Bewerber nicht aus einem größeren Unternehmen, verfügt also über keine größeren finanziellen Mittel, so ist er nahezu auf sich allein gestellt.
Folgend schließt sich schnell Resignation und Gleichgültigkeit ein.
Natürlich ist es falsch, einen Wahlkampf gänzlich ohne Zutun des Kandidaten zu führen, natürlich muss auch dieser sich den Menschen bekannt machen (wollen).

Doch sollten wir eines endlich einmal eingestehen: Es wird in den nächsten Jahren darauf ankommen, Menschen zu finden und zu begeistern, die in der eigenen Kommune weder sehr bekannt sind - diese dürften sich tendenziell für andere Parteien oder unabhänige Gruppen entscheiden - noch über größere Ressourcen verfügen.

Daraus folgt eine ganz andere Rekrutierungs- und Zuarbeit auf dieser Ebene.
Zuletzt wurden in Parteistrukturreformen ländliche Gebiete und Einrichtungen zugunsten größerer Einheiten aufgrund mangelnder finanzieller Machbarkeiten aufgegeben.
Man verhielt sich also prozyklisch, was auch zu einem Gutteil schlicht notwendig ist.
Allerdings muss es darüber hinaus ein antizyklisches Agieren geben.
Es darf eben nicht zum teilweise völligen Rückzug aus der Fläche kommen.
Wie eine flächendeckende Arbeit organisiert werden kann ist mir zwar auch noch nicht klar, doch vermute ich, dass vieles über das Internet und sog. soziale Netzwerke laufen wird.
Was eine (über-)regionale Kommunikation betrifft werden sie durch kaum etwas übertroffen. Veranstaltungsplanungen, Zu- oder Absagen sind so schnell zu realisieren wie kaum per Telefon oder E-Mail oder Brief/Fax.

Nur sind die Parteien noch viel zu stark im "instrumentellen" Internet angesiedelt.
Das meint eine Art "Internetwahlkampf" auf Bundes- und geringer Landesebene.
Dies macht gerade für die Bundesebene durchaus Sinn, hilft hernach für die kommunale Ebene aber gar nichts.

Ein von mir lange gehegtes Petitum ist das Streaming von Gremiensitzungen.
Wenn kein aufwendiges live-streaming, dann Aufnahme und Zurverfügungstellung per Youtube oder mittels anderer Instrumente.
Wenn ich unterwegs bin kann ich nicht an Ortsvereinssitzungen teilnehmen, obgleich ich dies gerne täte.
Mir böte es die Möglichkeit stets nahe an den Diskussionen vor Ort zu sein. Schließlich diskutiert man auch landes- und bundespolitisch.
Etwas anderes in diesem Zusammenhang fehlt aber auch völlig: Die Vernetzung der unteren und untersten Ebenen der Partei.
Welcher Ortsverein weiß schon zeitnah, ob ein anderer gerade etwas thematisch ähnliches diskutiert, man einander einladen oder eine Koferenz abhalten könnte?
Wer weiß schon, ob ein Ortsverein in NRW nicht gute oder sinnvolle Ansätze für Probleme fand, die denen in Sachsen nicht unähnlich sind?
Fehlt da nicht vollkommen der Informationsfluss untereinander?
Meines Wissens läuft das u.a. über Kreisvorsitzende, doch finde ich diese Informationsverbreitung asymmetrisch und hierarchisiert. Die Reibungs- und Ebenenverluste sind hoch.

Zumindest die Aufnahme und Einsichtgabe von Ortsvereinssitzungen ließe sich satzungsmäßig regeln; hier ist ja in keiner Weise die Weitergabe an eine Öffentlichkeit angesprochen, obgleich prinzipiell jede Sitzung öffentlich ist außer etwas gegenteiliges wurde besprochen.
Somit könnte man es handhaben wie bei Stadtratssitzungen: Eine Zustimmung zur Aufnahme und Übermittlung an die Mitglieder.
Solches fände ich authentischer und bedeutend einfacher als jemanden anrufen und sich seine eigene Sicht der Diskussionen erklären lassen zu müssen.

Eventuell sollte darüber nachgedacht werden, kleinere "Teams" zu mobilisieren und in unterbesetzten Regionen dauerhaft einzusetzen.
Angenommen in einem Ortsverein gibt es drei oder vier interessierte Leute, in zwei oder drei anderen aber niemanden oder sehr wenige. Vielleicht fehlte letzteren auch nur eine gewisse Motivation oder strukturelle bzw. finanzielle Hilfe.
Die drei oder vier genannten sollten also Hilfestellung und Kompetenz erhalten, die anderen Ortsvereine und ggf. vorhandene Miglieder aufzusuchen und entweder an der Reinitialisierung der Struktur oder einer Eingliederung in ihren Ortsverein zu arbeiten um eventuell verbliebene Mitglieder aufzufangen bis sie ganz in Apathie abwandern.


Einen Gedanken deute ich hier zunächst nur einmal an; er ist aus einer "Normativität des Faktischen" in Verbindung mit dem Hang zum längstmöglichen Erhalt des Status Quo geboren:
Die (großen) Parteien werden sich überlegen (müssen), ob sie die staatliche Parteienfinanzierung nicht modifizieren und sich selbst deutlich höhrere Einnahmen zu garantieren oder wenigstens stabilisieren.
Ansonsten müssten die "kleinen Parteien" wie Grüne oder FDP in die Fläche gehen oder die von einigen herbeigesehnte sogenannte "Bürgergesellschaft" fände ihren Höhepunkt im Flächenverlust der großen Parteien mit der Folge von Konkurrenz durch "Freie Wähler" und andere Vereinigungen.
Die "Gefahr" aus Sicht großer, etablierter Parteien ist klar: Je besser solche Vereinigungen augenscheinlich funktionierten, desto wahrscheinlicher werden sie sich auch auf höheren Ebenen etablieren und durchsetzen.
Radikal gesehen könnte das zur Auflösung einiger Parteien führen, wenn die selbst-gewählten "Nicht-Parteien" diesen Pathos beibehalten könnten und nicht gestellt würden.

So könnte man auch eine ganz andere These aufstellen: Die größte Gefahr für die "Volksparteien" geht nicht von der NPD oder anderer rechtsextremer/-radikaler Parteien aus, sondern von Wähervereinigungen, die es erfolgreich verstehen sich als "nicht-Parteien" zu gerieren.


Was lernen wir aus dem Gabriel-Brandbrief noch?

Ich äußerte vor Jahren auf einer Konferenz halb ernst, halb humorig die Auffassung, bald müssten zumindest wichtige Personalien innerhalb der Partei durch innerparteiliche Mitbestimmung größerer, breiterer Art bestimmt werden.
Bislang wurden Parteivorsitzende bspw. durch Parteitage gewählt.

Dabei stellt Gabriel etwa das Mittel der Urabstimmung "ab und an bei wichtigen Entscheidungen" in Aussicht.
Meiner Ansicht nach spricht wenig dagegen, bspw. den Parteivorsitz durch eine Urwahl der gesamten Mitgliedschaft bestimmen zu lassen.
Dabei ließen sich Kosten sparen, wenn man den Mitgliedern Abstimmungen auf gesicherten Internetseiten ermöglichte - mittels eindeutiger Indentifikationsnummer, Sicherheitszertifikat und SSL-Verschlüsselung sollte dies machbar sein.
Die Möglichkeit des einzelnen Mitglieds in einem bestimmten Zeitraum, oder an einem Tag, nur ein Mal abstimmten zu können ist sehr leicht umsetzbar.
Ansonsten ließen sich postalische Anschreiben versenden.

Für eine Zunahme an demokratischer Willensbildung, womöglich zweckgebunden, ließe sich ebenfalls über eine Erhöhung staatlicher Parteienfinanzierung nachdenken, schließlich wäre das Vermittlung gelebter Demokratie wie sie von anderen Vereinen nur noch selten vorgenommen wird.
Eine Besserstellung rechtfertigte dies durchaus.

Zwei Dinge des Briefes nur kursorisch kommentiert:

"Die Wahrheit ist doch", schrieb Gabriel, "dass sich die SPD in den letzten Jahren tief gespalten hat in Flügel."
Richtig.


"Wenn wir die SPD nicht endgültig zerstören wollen als Volkspartei, dann muss damit endlich Schluss sein."
Falsch.

Samstag, 17. Oktober 2009

SPD erneuern?

Wenn ich den mir kürzlich zugegangenen "Klartext" der SPD Vogtland lese, so kann ich fast in einem Faden an meine sonstigen Empörungen über Ereignisse vor und nach der Bundestagswahl anknüpfen.

Zur Erinnerung: Die SPD bekam bei der Bundestagswahl ein Zweitstimmenergebnis von 23% und verlor eine hohe Zahl an Mandaten im Deutschen Bundestag.

Als nahezu sofortige Reaktion trat ich der Gründung "SPD erneuern" auf Facebook sowie StudiVZ bei, die für Anträge in den Gremien der SPD wird. Mit diesen sollen Änderungen an der Politik sowie Positionen der SPD herbeigeführt werden.
Unabhänig davon, dass es in einer Partei genau darum geht und gehen muss, sind meiner Ansicht nach einige Ortsvereine schon nicht mehr in der Lage solche Anträge zu formulieren, zu vertreten oder sich vernetzt auszutauschen um gemeinsame Mehrheiten zu organisieren.
Und selbst wenn das doch der Fall wäre, bleibt für mich ein Glaubwürdigkeitsverlust, insofern Aussagen und Zustimmung "der Basis" nur gewünscht und benötigt werden, solange sie gewisse Linien bestätigen.

Der Aufruf als solcher ist auch eher oberflächlich und einfach.

So schreiben die Initiatoren

Klar ist für uns hierbei, dass alle Kräfte und dabei vor allem auch die Fraktion und die Partei gemeinsam an dieser Erneuerung arbeiten müssen.
Schon das ist illusionär und inkludiert einen freiheits- und diskussionsnegierenden Aspekt. Das "Müssen" ist das Problem.
Eine Parlamentsfraktion hat stets andere Ziele und Notwendigkeiten als eine außerhalb stehende Partei, dies muss bis zu einem gewissen Punkt auch so sein.
Die Fraktion soll und will Macht erringen und im parlamentarischen System ausüben und Themen/Inhalten einer Partei Geltung verschaffen. Dazu allerdings muss sie MEhrheiten und Partner suchen.
Während eine Fraktion also zu gewissen, für eine Partei womöglich sogar problematischen, Koalitionen oder politische Inhalte gezwungen sein kann, kann und muss sich eine Partei ggf. dagegen aussprechen.

Das allerdings ist kein Novum, das war und ist im Kern des parlamentarischen Regierungssystems immer so.
So besteht zwischen Partei und Fraktion ein natürliches Spannungsverhältnis.
Nicht zuletzt aufgrund grundgesetzlich gesicherter Freiheit des Mandats und der Negation eines imperativen.

Die Einsicht in die Notwendigkeit und Faktizität darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es für diesen Spielraum auch Grenzen gibt. Beide - Fraktion wie Partei - haben kein Interesse daran, den jeweils anderen zu demontieren, schließlich sind sie jeder für sich existenziell vom jeweils anderen abhänig: Die Fraktion von der Partei für Wahlkämpfe, zur Erreichung einer gewissen Fraktionsstärke, Rekrutierung von Fraktionsmitgliedern. Die Partei für die Außenwirkung, Mittel- und Ressourcenerhalt durch die Fraktion und medial-vermittelte Oppositionsarbeit oder durch Beteiligung an einer Regierung im Parlament.

Man könnte somit zunächst und oberflächlich annehmen, dass in den letzten Jahren eine größere Differenz von Fraktion zu Partei festgestellt und für gewisse Probleme in Regress genommen werden kann.
Doch ist dies nicht korrekt zuende gedacht.
Aus der Partei selbst kommt wenig "Mitbestimmung", wenig demokratischer Streitprozess der auch öffentlichkeitswirksam und richtungsentscheidend wird.
Bei den aufkommenden Diskussionen zur Bahn-Privatisierung kam aus der Partei verhältnismäßig wenig. Stimmung und Aktionen wurden von non-party-organisations wie "Bahn-für-Alle" gemacht.
Sicherlich beteiligten sich einige, wie auch ich, mit Unterschriften und praktischer Mitarbeit, doch wenig bis nichts systematisches innerhalb der Partei.

Auf das Thema Mindestlohn sprang die SPD sowohl in Partei und Fraktion viel zu spät auf, nachdem Linkspartei und Gewerkschaften bereits länger darüber diskutierten bzw. öffentlichkeitswirksam wurden.
Und auch das Thema "Piratenpartei" und "informationstechnologische Kompetenz" wird - von den meisten Parteien - maßlos unterbelichtet.


Die Bürgerinnen und Bürger haben uns trotz eines engagierten Wahlkampfs die richtigen Inhalte des Regierungsprogramms nicht abgenommen.
Das Regierungs- und Wahlprogramm wurde - wie man bspw. in der WELT lesen konnte - von Thmoas Oppermann und Frank Walter Steinmeier, also den Leuten, die in den letzten Jahren Regierung in nicht unmaßgeblichen Funktionen in Fraktion und Partei saßen, ausgearbeitet.
Auf dieser Basis wurde das aktuelle Wahlergebnis eingefahren, wenn tiefer liegende Probleme mutmaßlich auch tiefer und länger zurückliegen dürften.


Wir brauchen eine konsequente und überzeugende Abkehr von der Politik der Agenda 2010.
Wie will man sowas vermitteln?
Wie will man glaubwürdig vermitteln, dass das, was man seit 2003 machte schlecht war?
Im Übrigen: Schlecht für wen?
Die Medien werden behaupten, wie es auch politische Konkurrenten tun, die Agenda 2010 sei für Deutschland positiv gewesen. Ob das so nun stimmt oder nicht, stehe dahin, doch wird der Kurzschluss, die Agenda sei insofern nur und einzig schlecht für die SPD als Partei, nahe liegen und bei verstehenden Menschen nicht unbedingt goutierend aufgenommen werden.
Sinnfreie Aussagen wie "Erst das Land, dann die Partei" kann ich jetzt schon wieder antizipieren, doch ist das vollkommener Unsinn. Dieselben Leute sagen andernorts: Erst das Individuum, dann der Staat/die Gesellschaft.
In diesem Kontext müssten diese also exakt das Gegenteil kommunizieren.


Wer sich im Programm für „Gute Arbeit“ einsetzt und mit der Politik der Agenda 2010 bewusst eine dramatische Ausweitung des Niedriglohnsektors befördert hat, der hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Ob jemandem, oder mir, Niedriglöhne, Niedriglohnsektor, etc. ge- oder missfallen: Hier lässt sich schnell und deutlich ein Argumentationsproblem mit folgender absichtlicher Verkürzung feststellen.
Ein Niedriglohnsektor kann gerechtfertigt sein, wenn andere Alternativen noch schlechter wären.
Nochmals: KANN notwendig sein, nicht muss, wie andere das gerne behaupten oder behaupteten.
Das im Übrigen ist das Problem. Letztere behaupteten immer, dass es so sein müsse, schließlich gäbe es die Globalisierung, etc.pp.

Die Globalisierung ist die Religion des 21. Jahrhunderts.
Eine "linke Interpretation", so wie ich sie vor Jahren anregte und forderte, existiert bis heute nicht.
Die SPD gestaltet nicht, sie unterwarf sich.
Sich und andere sowie das Land.

Es wäre auch problemlos machbar, Menschen im Niedriglohnsektor arbeiten zu lassen, wenn sie durch andere - oder den Staat - Geld bekämen, mithin "aufgestockt" würden, ohne Repressionen und fadenscheinige Begründungen bei Verweigerung aushalten zu müssen.
Das Geld sollte man sich dann natürlich von den Unternehmen holen, die durch oder mittels Niedriglöhne höhere Gewinne erzielen.
Aber das tut man nicht. Die Steuerzahler zahlen.
Also die, die arbeiten finanzieren sich und andere selbst, da sie aufstocken.
Große, gewinnträchtige Unternehmen zahlen entweder keine Steuern mehr in Deutschland, oder zu wenig.
Das sah ich seit Jahren als eigentliches Problem - abseits mgl. Kommunikation was "Arbeit" bedeutet und ob sie menschenwürdig sein muss. Und ob zur "Menschenwürdigkeit" auch eine "ausreichende" Entlohnung gehört.


Der wichtigste und unterstützenswerteste Teil der Erklärung folgt später:

Die scharfe Abgrenzung von und das Ausschließen einer Zusammenarbeit mit der Linkspartei hat die SPD in eine strategische Sackgasse manövriert. Die SPD ist dadurch bei der Koalitionsbildung immer von Union (schwarz-rot) oder FDP (rot-gelb-grün) abhängig.
In der Tat ist es für die SPD absolut notwendig, zur Linkspartei koalitionsfähig zu werden.


Das ist zumindest ein strategisches Dilemma. Natürlich ist ein Zusammengehen mit der Linkspartei auf der Bundesebene nicht ohne weiteres möglich.
Ich behaupte das Gegenteil.
Und wenn die Befürworter dieser These darlegen sollen, weshalb dem so sei, zitieren sie meist fast ausnahmslos außenpolitische Belange.
Doch werden Koalitionen nicht auf Grundlage von Außenpolitik geschmiedet, wie Franziska Drohsel vor kurzem sagte.
Wenn der Linkspartei polemisch fiskalische Verschwendungssucht vorgeworfen wird, so kann man ja ebenso polemisch an das Finanz- und Bankensystem erinnern, was fast unser aller Ende bedeutet hätte und irgendwann - mittelbar oder unmittelbar - beenden wird. Zumindest das Leben, wie wir es heute kennen.


Große Teile der Parteiführung haben sich bis heute nicht von den Fehlern der SPD-Regierungspolitik distanziert, sondern verteidigen noch immer die damaligen Entscheidungen.
Auch ein Problem, richtig.


Deshalb bedarf es auch einer Diskussion über die organisatorische Erneuerung der SPD, die zu mehr innerparteilicher Demokratie führen muss. SPD muss ihre Stärke als Mitgliederpartei wiedergewinnen, indem sie die demokratische Beteiligung all ihrer Mitglieder organisiert. Entscheidend ist es dabei auch, Konzepte zu entwickeln, die den Parteimitgliedern mehr Angebote zur Diskussion und Mitentscheidung bieten.
Das ist - nebst der Stelle zur Öffnung zur Linkspartei - der wichtigste Punkt des Aufrufs.


Alles in Allem zeigt sich, dass ich selbst mit dem Aufruf nicht in allen Punkten zufrieden bin oder übereinstimmen kann, es gibt immernoch zu wenig inkonkretes.
Doch wenigstens etwas, möchte man sagen.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Kein Sturm im Wasserglas?

Was passiert derzeit in der SPD?
Das, was nach einem Wahlergebnis, wie vom 27. September, geschehen muss.
Zunächst werden und wurden personelle Konsequenzen gezogen.

Hierbei gehe ich kurz auf etwas eigentlich selbstverständliches, doch medial anderes kommuniziertes ein:
Nicht die Inhalte sind prioriär, sondern Personen.
Das muss auch so sein, schließlich ist unsere Gesellschaft hierarchisiert und individualisiert Ämterbezogen.
Die Aussage, "Inhalte gingen vor Personalentscheidungen" sind in der Regel Makulatur oder zumindest fragwürdig.
Gibt es niemanden, der seinen Namen für einen oder mehrere Inhalt(e) einsetzen möchte, ist auch der Inhalt tot.
Und der verfügbare Personenkreis "niemanden" ist schon durch die an der Macht interessierten und durch Mehrheiten oder andere Druckpotenziale zur Macht fähigen Mitglieder beschränkt.

Wenn die Thüringer SPD im Wahlkampf und in Koalitionsverhandlungen also kommuniziert, sie könne keinen Linken-Ministerpräsidenten wählen, so war eine Grüne Ministerpräsidentin mein Petitum.
Allerdings dürfen Gegenstimmen nicht außer acht gelassen werden, will man Ereignisse wie Schleswig-Holstein (Heide Simonis) und Hessen (Andrea Ypsilanti) vermeiden.
Hier liegt also ein Korrektiv vor, das umso stärker wirkt, je größer dessen Macht- und Mehrheitsbefugnisse sind.
Schließlich waren es zumindest in Hessen mehr als die später dafür in Haftung genommenen Abgeordneten, die ein Rot-Rot-Grünes Bündnis ablehnten.
Kann man also nicht ausschließen, was in internen Gesprächen geklärt sein sollte, dass eine gewisse kritische Masse an Abgeordneten eine solche Lösung nicht mittragen werden, sollte man die "stabilere Alternative" wählen.

"Stabil" ist dabei mittlerweile zur Floskel der eigenen Zerstrittenheit und Unfähigkeit verkommen. Nicht andere Parteien haben das Problem oder tragen dazu bei, sondern dient dies eher zur Kommunikation nach innen, zu Zugeständnissen.

Im Fall Thüringen hätte man die Grünen durch eine Grüne Ministerpräsidentin meiner Ansicht nach ideal einbinden können; sehr viele Gegenstimmen aus der Linken wären wohl auch nicht zu befürchten gewesen.
Bliebe nur die SPD, die seit der Parteitagsabstimmung zwischen Dewes und Matschie zugunsten des letzteren gespalten scheint.
Rational erscheint also eine Koalition zu wählen, die sich eine größere Zahl an Gegenstimmen aus der eigenen Partei leisten kann, die medial damit nicht ausgeschlachtet und zur internen Zerreißprobe werden.
Die Große Koalition erschien mir damit schon kurz nach den Landtagswahlen als wahrscheinlichste Option für dieses Bundesland, obgleich oben genannte Idee einer grünen Ministerpräsidentin keinen geringen Charme ausübte.


Was die Bundes-SPD betrifft, so dürfte klar sein, dass Franz Müntefering langfristig kein Parteivorsitzender mehr sein wird. So wird auch schon darüber informiert, Sigmar Gabriel übernehme mit hoher Wahrscheinlichkeit das Amt.

Müntefering sollte aus mehrerer Hinsicht gehen:
Das Alter, wie von einigen kritisiert, spielt für mich dabei nicht einmal die tragende Rolle.
Ein politisches Armutszeugnis allerdings sehe ich in seiner Äußerung, Opposition sei "Mist".
Jemand, der in Regierungsverantwortung solches sagt, sollte konsequenterweise sofort sein Amt zur Verfügung stellen, wenn eine langjährige Regierungspartei unter eigener Ägide mit einem der schlechtesten Wahlergebnisse in der Geschichte der Bundesrepublik in die Opposition muss.
Ob man ihm nun eine fragwürdige demokratische Einstellung unterstellen mag oder nicht, sollte doch niemand gezwungen sein, offensichtlichen "Mist" mitzutragen.
Allerdings reiht sich das oberflächlich betrachtet nur in eine Reihe merkwürdiger Äußerungen ein.
So sagte er auf einer Pressekonferenz während der Großen Koalition einmal sinngemäß, es sei unfair Politiker nach der Wahl an ihren Wahlersprechen von vor der Wahl zu messen.
Klar mag er damit institutionell und gemäß des Politikbetriebes nur einen Allgemeinplatz formulieren, doch bleibt die Artikulation zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort fragwürdig.
Um es auf den Punkt zu bringen: Man muss soetwas nicht sagen.
Ob die Person Müntefering zu einem gewollten "Neuanfang" passt, sei auch einmal dahingestellt.

Grotesk aber noch etwas anderes.
Er trat vor nicht allzulanger Zeit fast weinerlich vom Parteivorsitz zurück, als Andrea Nahles im Parteivorstand eine Wahl zur Generalsekretärin gegen seinen Intimus Wasserhövel gewann.
Unter diesen Umständen könne er kein Parteivorsitzender sein, meinte er sinngemäß und schmiss - hier bleibe ich absichtlich im vorwurfsvoll-falschen Massenmedialen Ton a la Lafontaine/Gysi - das Amt kurz nach der verlorenen Wahl hin.
Nun aber, da der Zug vor die Wand prallte und es nach 23 Prozent im Bund schlimmer kaum noch kommen kann, stellt sich eben dieser Müntefering kurz nach dem desaströsen Ergebnis mit Steinmeier vor die Medienvertreter und Mitglieder im WBH und intoniert Durchhalteparolen.

Ist das noch grotesk?
Soll ich noch darüber lachen, obwohl ich nicht einmal mehr Kopfschütteln mag?

Ich kann es mir eigentlich, vorausgesetzt alle Beteiligten sind ihrer intellektuellen Fähigkeiten weiterhin mächtig, nur so erklären, dass der Baum in der SPD lichterloh brannte bzw. vielleicht noch brennt.
Dass vielleicht wirklich niemand wusste, was oder wer dann kommen sollte, wenn Müntefering sofort zurückgetreten wäre, wie er es meiner Ansicht nach hätte tun müssen.
Hätte ich das Amt so kurz nach dem Ergebnis niedergelegt?
Ja, wenn gesichert ist, dass danach kein Chaos ausbricht. Müntefering selbst dürfte klar gewesen sein, dass er seinen Rücktritt nicht mehr verhindern konnte, nur der Zeitpunkt stand bestenfalls in Rede.
Steinmeier konnte oder wollte es anscheinend auch nicht übernehmen, war er doch mutmaßlich so leicht auch nicht durchsetzbar.
Sich selbst dann zum "Oppositionsführer" zu küren nimmt sich dann aber auch eher possenartig aus.

Die Wahrheit dürfte irgendwo in der Mitte liegen.
Steinmeier dürfte erkannt haben, dass er keine Mehrheit für die Übernahme des Parteivorsitzes bekommt, die ihn stabilisiert. Die Parteilinke dürfte sich vorallem gegenüber den Seeheimern nicht mehr so einfach zufrieden gegeben haben.
Ansonsten hätte Steinmeier sofort den Parteivorsitz zusätzlich zum Fraktionsvorsitz übernehmen müssen.
Letztere Kandidatur hätte er zunächst ankündigen können, um Unmut anderer Abgeordneter entgegen zu wirken, sie würden übergangen.
Womöglich hätten sich dann allerdings Gegenkandidaten in Stellung bringen können, anders ist auch Steinmeiers Auftritt am Wahlabend kaum erklärbar. Das wollte und musste er natürlich verhindern und alle Beteiligten somit vor vollendete Tatsachen stellen.
Der Name Gabriel wurde auch erst heftiger kolportiert, als Steinmeier bereits zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, gut möglich also, dass Müntefering ihm also den Rücken freihalten sollte.

Und der Rest?
Steinbrück ist kein Finanzminister und auch kein stellvertretender Parteivorsitzender mehr.
Eine gute Entscheidung, denn meiner Ansicht nach ist er auch fachlich, gerade in der Rolle als Finanzminister der Großen Koalition, überbewertet.
Er ist ein Opfer der Neuaufteilung der SPD-Führung, in der die Parteilinke nun deutlich präsenter sein wird und muss.
Peter Struck sollte die Fraktionsführung ohnehin abgeben und schon früher wurde gemutmaßt, dass Steinmeier dieses Amt übernehmen könnte.
Vielleicht sollte er es Gerhard Schröder gleich tun, der einst ebenso beide Ämter auf sich vereinigte.
Bis er sie schrittweise abgeben musste.
Andrea Nahles soll Generalsekretärin werden.
Das konnte man sich fast denken, kandidierte sie doch schon einmal und gewann gegen Wasserhövel. Scheiternd nur an einer "Erpressung" durch Müntefering und anderer Teile der Partei, die daraus gewollt ein Politikum machten, statt es vorher intern zu klären und Gegenleistungen zu bieten.


Was bleibt noch?
Wäre die "Finanzmarktkrise" - hier sei darauf verwiesen, dass es radikal und konsequent betrachtet keinen Finanzmarkt (mehr) gibt - auch von einer "kleinen Koalition" lösbar gewesen oder hätte es notwendig einer Großen Koalition bedurft, wie es in Teilen kolportiert wird?
Ja, sie wäre auch so lösbar gewesen.
Die Erpressbarkeit des Staates besteht fort, übrigens auch notwendigerweise unter einer Schwarz-Gelben Bundesregierung da man die tieferen Ursachen der Probleme nicht angeht und sich stattdessen mit Scheingefechten um Eigenkapitalunterlegungen abspeisen lässt.
Doch ist es die schiere größe einer Bank, die über ein "too big to fail" entscheidet.

Oder meint irgendjemand ernsthaft, Guido Westerwelle und Angela Merkel hätten anders entschieden als Merkel und Steinmeier als der Vorsitzende der Deutschen Bank, Ackermann, kolportiert Merkel anruft und aussagt, morgen sei die Deutsche Bank pleite und er sperre die Tore zu, wenn der Bund die HRE nicht "rette"?
Wie soll das funktionieren?
Wie sollte der Bund, die Bundesrepublik, für die Verbindlichkeiten oder die Bilanzsumme der Deutschen Bank haften, die geschätzte 2 Billionen EUR betrug?
Nein, die Erpressbarkeit besteht fort, egal welche Konstellation man betrachtet.