Dienstag, 29. Dezember 2009

Idee - Übernahme - Kapitalismus und Online Communities

Wie viel bin ich wert?
Wie viel bist Du wert?
Das weißt Du nicht? Oder gar, welchen Sinn solches im Kontext von Communities wie dem StudiVZ haben sollte?

Eine Community beginnt womöglich als Kleinprojekt findiger Programmierer, die an Funktionen an anderen Angeboten vermissen oder sich und ihre Ideen in Teilen selbst verwirklichen wollen.
Sie erschaffen eine Plattform mit ersten Anmeldungen, Profilseiten, bauen sie datenbankgestützt dynamisch auf und spezialisieren sich auf ein Thema.
Irgendwann kommen sie auf den Gedanken wachsen zu wollen, machen Werbung, die Nutzer Mundpropaganda und andere werden aufmerksam.
Ein Segment gesellschaftlicher Reproduktion gelangt stärker in den öffentlichen Fokus und die thematische Befassung nimmt zu. Weitere Nutzer melden sich an.
Andere kommen auf den kapitalistischen Verwertungsgedanken, der besagt, dass sich damit doch ein "Gewinn" erzielen lassen können müsste.
Ein oder mehrere Investoren treten an die Betreiber heran, führen eine System- und Angebotsprüfung ein und geben Gebote ab.
Irgendwann wird ein Gebot angenommen und die Community veräußert.

Sie war auch schon früher Teil des kapitalistischen Produktionsprozesses, da sie ohne ihn nicht nur niemals entstanden wäre, sondern auch nicht lauffähig oder zur erlangten Bedeutung gekommen wäre.
Sie benötigt Strom, welcher wiederum durch Lohnarbeit, Arbeitsteilung und Ausbeutung natürlicher Ressourcen mit Gewinn durch Produktivitätsabstand zum Lohnausgleich zustande kommt, um überhaupt zu funktionieren, ferner eine menschliche Arbeitskraft, der durch die Programmierung Opportunitätskosten, mithin auch der Volkswirtschaft, entstehen.
Somit erzielten die "Betreiber" und Autoren direkt womöglich und wahrscheinlich noch keinen Gewinn durch Verwertungsinteresse; dies ändert sich bei Übergang auf einen klar gewinnorientierten Konzern.

Es ist davon auszugehen, dass es sich ein solcher Konzern nicht dauerhaft wird leisten können ein solches Projekt im Verlust zu betreiben.
Sagen wir, die Plattform wurde für den stolzen Preis von etwa 50 Millionen Euro veräußert.
Gehen wir ferner davon aus, dass die meisten Plattformen bisher und weiterhin Verluste schreiben, also ihre Betriebsbilanz nicht einmal mit einer schwarzen Null abschließen können. Dies ist nach meinem Kenntnisstand zumindest bei Facebook und Youtube, eigentlich sehr populäre Dienste, der Fall.
Gehen wir weiterhin davon aus, dass kapitalistisch-buchhalterische Logik zu Anwendung kommt, nach der mindestens eine schwarze Null, besser noch ein Gewinn aus der Unternehmung hervorgehen sollte, ja eigentlich hervorgehen muss.

Daraus lässt sich ableiten, dass erstens Schritte unternommen werden müssen, die Kosten des Projekts zu senken, zweitens die Einnahmen durch ebendieses zu erhöhen oder überhaupt zu bedingen und drittens dafür nur eine gewisse Zeitspanne mit Deadline vorhanden ist, die schnell zum Exitus führen kann, so sich keine durchgreifenden Fortschritte ergeben.

Viele Nutzer mögen keine Werbung und wollen sie auch nicht sehen, sie verwenden Werbeblocker wie das beliebte Firefox-Addon "AddBlock" mit großer Funktionalität. Hier fallen eventuelle Werbeeinnahmen auch per se weg, da es nicht einmal zu einer Einblendung, geschweige denn zu einem Klick oder Kauf kommt. Wie viele Nutzer dies betrifft sollte sich anhang der Browser- und Pluginkennzeichnung eruieren lassen.
Andere User werden schlicht nicht auf Werbung klicken oder über diese Werbung keine Produktkäufe einleiten, was wiederum keine Erträge generiert.
Bliebe eine andere Zahl, bei der das funktioniert. Wie hoch die diesbezüglichen Einnahmen wären kann ich nicht beziffern, doch gehe ich davon aus, dass dies weder die laufenden Betriebs- noch Werbe- oder Kaufkosten amortisieren kann.
Das Problem bleibt also.

Man könnte ferner versuchen den Nutzern kommerzielle Produkte als community-interne unterzujubeln und sie quasi zu nötigen, mindestens aber zu verleiten sie zu nutzen und publizieren.
Vielleicht erfindet oder portiert man neumodische Worte, Anglizismen, um dies "cool" und "modern" wirken zu lassen.
Fraglich ist aber auch hier, wie genau Einnahmen bei den kommerziellen Anbietern zu generieren wären, können sie doch nicht davon ausgehen, dass die Profilinhaber selbst oder deren "Freunde" resp. andere Nutzer mit dem Ziel des Produktkaufs darauf klicken.
Wäre damit verbunden nicht eine weitere Option die riesige Datenfülle nutzbar, damit verwertbar und zugänglich zu machen?
Zahlen spezifische Unternehmen nicht viel Geld für zielgruppenspezifische Angebote in den Communities selbst, aber auch für Verhaltensanalysen spezifischer, vielleicht sogar ausgewertet "realer" Nutzer?

Dies ließe sich nun fast unbeschränkt fortsetzen, der "Ideen" existieren viele.
Allein richtige "Verwertung" im Sinne Gewinnmaximierungsstrategien mag ich erfolgreich noch nicht erkennen.
Aber sei es zunächst drum.

Wichtig sollte in einem solchen Szenario sein, User anzuwerben, einzubinden, zu halten und affizieren, welche eine "leadership"-Funktion oder eine ebensolche als "Meinungsmacher" in verschiedenen Gruppen und Netzwerken ausüben.
Darüber wurde auf ZeitOnline zuletzt ein Artikel mit abgewandeltem Duktus publiziert: "Social Networks: Was verraten soziale Netzwerke? Alles!".
Diese User ermöglichen den Betreibern nicht nur "wertvollen", also realen und damit gewinnbringend verwert- und vermarktbaren Content zu generieren, sondern ziehen auch andere, neue User, neue Klientel und Gruppen an.
Genauso intensiv können natürlich auch deren negative Bewertungen wirken. So dürfte den Usern der Communities noch nicht einmal ansatzweise klar sein, was sie bewirken können, wenn sie sich eben nicht als Bittsteller gerieren, sondern "zusammen schließen" und - wie bei Facebook - auf bspw. eine "Dislike-Button" drängen.
Allein wird dies wie im realen Leben an der Uneinigkeit und vorgeblichen Individualität scheitern.

Daraus ergibt sich, dass gewisse User oder Profile schon heute unterschiedliche Wertigkeiten haben müssen und haben.
Mithin setzt sich nur die aus dem realen Leben bekannte Verwertung des Menschen in der Produktion und für kapitalistische Interessen in der "Online-Welt" fort.
Doch macht sich hier der Mensch zunächst selbst zur Ware - möchte man meinen.
Doch ist noch gänzlich unklar, welche Motive und vorallem Zwänge zu einer Registrierung in einer solchen Community führen und welche Sanktionen, Barrieren und Restriktionen vor einer Abmeldung bestehen. Die aus dem wahren Leben bekannte "soziale Kontrollfunktion" wirkt und existiert hier u.a. durch die Fiktion vermeintlich etwas verpassen zu können oder ebenso oder tatsächlich exkludiert zu werden.
Die Überbetonung sowie zunehmende Verlagerung vieler Lebensbereiche in das Internet tut dabei ihr Übriges.

Diese Wertigkeit setzt sich also sofort in die Profile und in einer höheren Stufe natürlich auch in die Communities und Plattformen selbst um.
So meinen wir zwar entweder "sehr individuell" zu sein und daher "individuelle Profile" zu haben und generieren zu können. Was zunächst machbar und logisch erscheint, halten wir uns doch auch real und persönlich allermeist für "sehr individuell" oder streben danach.
Genauso wie real ist diese Individualität aber auch virtuell eine Fiktion. Allein wird sie virtuell noch deutlicher.
Es wird tatsächlich versucht, Individualität zu kreieren oder darzustellen mithilfe kategorisierender und im ursprünglichsten Sinne kollektiver Werkzeuge. Wer weiß, wie eine Datenbank und deren dynamische Webseitenumsetzung funktioniert, weiß wovon ich rede. Daran ist nichts individuell, alle Einstelloptionen sind vorgegeben.
Womöglich neigen Communities demnächst stärker dazu, die in einem anderen Beitrag bereits angerissene "konstitutive Anonymität" sowie "kollektivistische Systemarchitektur" und damit des Kollektivismus in Reinkultur durch vermeindliche Individualisierung mittels "Demokratie" oder "demokratischer Abstimmung" abzuhelfen.
Es gibt bereits Ansätze und praktische Beispiele dafür, die - man kann es sich nach obigem unschwer selbst erschließen - aber nichts anderes als selbst wiederum fiktional sind, da letztlich dem Verwertungsinteresse weniger unterlegen, was nicht die Entscheidungsfreiheit vieler bedeuten kann und realitär tut.

Daraus wird eine Wertigkeit der Profile, weniger der Nutzer, deutlich. Die Nutzer werden losgelöst von ihren Daten.
Womöglich ist das die "Entfremdung des Lohnabhänigen von seiner Arbeit" des 21. Jahrhunderts.
Ob man das "Pflegen" oder Bestücken eines Profils als "Arbeit" bezeichnen kann ist fragwürdiger als die Communities und Profile als Ort der Reproduktion und eines gewissen "Marktzugangs" zu sehen. Ist doch mittlerweile bekannt, dass Arbeitgeber nicht nur in Suchmaschinen, sondern auch mittels Plattformen nach "geeigneten Bewerbern" suchen.
Ein solches Profil kann und wird also in wenigen, vielleicht auch wenigen, Fällen zu erhöhten Chancen und gesellschaftlichen Zugängen zur Reproduktion und Teilhsabe ermöglichen und bedingen.
Auch hier setzt sich ein bekannter Trend aus dem "realen Leben" fort.

Wieviel also ist ein Profil, sind die darin enthaltenen Daten und Informationen, "wert"?

Zunächst wäre zu fragen: "Qui bono?" - also wert für wen?
Der Nutzer erzielt womöglich einen kommunikativen Nutzen, sehr wahrscheinlich eine Nutzenproduktion durch Erlangung von "self-esteem" und angepasster Selbstdarstellung oder in Einzelfällen gar oben beschriebene Chancen qua Arbeitsmarktzugang und "produktive Kontakte".
Es dürften nur die allerwenigsten sein, aber so es sie gibt, dürfen sie analytisch-thematisch nicht außen vor bleiben.
Auch kommunikativer Nutzen ergibt sich nicht automatisch und verlang zunächst Agglomeration und Verwertung eigener Ressourcen, wie Fähigkeiten zum Wahrnehmen, zuhören, lesen, umsetzen und erneut an die Kommunikationsart angepasstes antworten. Also mithin kein bedingungsloser Wert an sich.
Für die meisten Nutzer dürften solche Profile Zeit kosten, die sie weder betriebs- noch volkswirtschaftlich produktiv sein lassen. Zumindest im herkömmlichen Sinne (bezahlte Blogs, etc. einmal ausgenommen).
Zumal sie - wie oben an den Betreibern ansatzweise verdeutlicht - noch einiges an Investitionen für Betrieb und Pflege aufbringen und eingehen müssen.
Für den "normalen" Nutzer ist es also, meine Auffassung, zumindest kein vulominöses Gewinngeschäft.

Für den Betreiber zählt die Wertigkeit eines Profils im Sinne seiner kapitalistischen Verwertbarkeit, also er Möglichkeit es oder Bestandteile dessen teilweise, ganz oder temporär zu vermieten oder verkaufen bzw. zur Verfügung zu stellen und damit kostendeckend zu arbeiten oder einen Gewinn zu realisieren.
Profile, die keinen ersichtlichen "Nutzen" haben, oder hinter denen einfach Bots, Computer, automatische Abfragesysteme bzw. Unsummen von Zweit- oder Drittprofilen stehen, sind demgemäß wertlos und kosten nur ressourcen.
Ein Positivum vieler Captchas in einigen Communities ist auch eine Erschwerung solcher Kostenproduktionen.
Betreiber sollten Nutzer wie "leader" oder "Meinungsführer", resp. "-macher" suchen, an sich binden und integrieren und ihnen eine - fiktionale - Mitspracheoption anbieten.
Durch sie erkennen sie bzw. deren automatisierte Abfragesysteme Nutzertrends, aggregieren diese und vermitteln bzw. vermarkten sie gewinnbringend an andere Unternehmen.
Außerdem dürfte die Wahrscheinlichkeit verwertbaren Contents in der Umgebung solcher "wertvoller Nutzer" höher sein, als unter der "normalen Nutzerschaft". Schließlich zeichnen sie sich durch besonders gute Vernetzung oder Aktivismus aus. Machen die Betreiber dann keinen Fehler und stellen diesen Nutzern Werkzeuge für Kollaboration und Kommunikation zur Verfügung, so könnten sie es schaffen sich einen Status der "Unverzichtbarkeit" anzueignen.
Doch dürfte dieser Status durchweg fluider sein als offline.
Die "normale Nutzerschaft" hat insofern einen Wert, indem die Daten- und Informationen einen Anfangsverdacht der "Echtheit" oder "Relevanz" vermuten lassen und werden dann nur noch durch ihre relative größe geschätzt. Sie können durch massenhafte Verlinkung und viele "Freunde" zwar viele Mitglieder anziehen, abstoßen oder attraktivieren, sind jedoch durch ihre gesellschaftliche Funktion offline wie online begrenzt. Und daher auch nur begrenzt "nützlich" und "verwertbar".

Konsequent wäre es also, eine Berechnung der "Profilverwertbarkeit für den Betreiber" vorzulegen und sgar in die Profile zu integrieren.
Natürlich tut man dies nicht, will man das offensichtliche doch in Darstellung zu verhindern versuchen: Die Erkenntnis der Reduktion auf das allgegenwärtige und systemisch notwendige Verwertungsinteresse als zumindest "höheres Prinzip über dem jeweiligen Einzelnutzer. Man verhindert damit auch die Erkennung des Wertes, des "kapitalistischen" Wertes des Nutzers, vielmehr aber seiner Informationen, Daten und des Profils.
Denn wäre dieser bekannt, könnte der User womöglich seinen Teil dessen einfordern wollen.
Die Nachricht, Communities schrieben allenthalten Verluste und seien daher eigentlich seit Jahren quasi "gutmenschlich" über Wasser und der Funktionsendegrenze gehalten worden, nutzt dann auch eher als sie schadet.

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