Mittwoch, 7. April 2010

Kurzkritik der Postdemokratie

Was ist "Postdemokratie" oder "post democracy"?

Laut eines Artikel in der Zeitschrift "Aus Politik und Zeitgeschichte" gemäß "Leadership"-Forschung eine Form der Demokratie, welche stärker auf einen im Weber'schen Sinne "charismatischen" Füher setzt als auf "klassische" partizipativ-libertäre Vorstellungen der Demokratie als Entscheidungsartikulation des gesamten Volkes gemäß Willen und Wünsche ebendessen setzt.

Gemäß Ritzi/Schaal lässt sich eine solche "Postdemokratie" oder "leadership democracy" bzw. funktionalistisch-exekutiver "respobsible government" an vier Merkmalen festmachen:
äußerliche, institutionelle Resposivität und deren formale Prozeduren, Befreiung von Partei- und Regierungspolitik von "Ihalten" sowie diskursiven Handlungsalternativen, ein stärkeres Einwirken des zunehmenden Zusammenhangs von politischen und ökonomischen Akteuren sowie eine de facto Entmachtung der Bürger.

Der Beitrag bleibt erfreulich sachlich und in seiner Beschreibung sehr ergiebig, macht es mir umso leichter gewisse Kritikpunkte und eigene Gedanken diesbezüglich zu formulieren.
Dies möchte ich nachfolgend im ersten Ansatz ausführen.

Das outputorientierte Legitimationsmodell könne dem Phänomen der "Politikverdrossenheit", so der Wahrnehmung von mangelnder Handlungsfähigkeit politischer Akteure und darauf basierender Unzufriedenheit Intensität und Einfluss nehmen, so kann man argumentieren.
Allerdings ist dieser Begriff ein qualitativer, bzw. steht für eine qualitative Bewertung: So lässt sich das Maß der "Politikverdrossenheit" keineswegs nur an Wahlaffinität und tatsächlichen Wahlhandlungen der im politischen System befindlichen Einwohner, des "Staatsvolkes", ablesen.
Wird mangelnde Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit politischer Akteure beklagt, so sind dies sämtlich quantitative Kategorien.
Hier wird also vieles grundhaft durcheinander geworfen.
"Entschlossenheit" an sich kann kein "Wert" im Wortsinne sein, ich pflege manchmal Vergleiche derberer Art zu wählen, welche ich mir nun ersparen möchte.
Zumal ein "diffuses Lernen" der Einwohner als Zweibahnstraße geben kann: Durch ein "Zuviel" an "Entschlossenheit" und "Handlungsfähigkeit", gerade in quantitativer Hinsicht, wird nicht "Widerstand", sondern auch Unterordnung und Gefolgschaft wahrscheinlicher.
Und "Gefolgschaft", bzw. stillschweigende Zustimmung, könnte man heute bereits zynisch als "Politikverdrossenheit" einordnen. Dann allerdings positiv konnotiert. Wodurch ein zunächst kritisierter Befund ex-post facto legitimierend zu etwas akzeptiertem würde.
Zumal nicht erwartet werden kann, dass die Einwohner eines Staates selbst "Grenzen" dieser Handlungsautonomie oder Entscheidungsfreude sehen oder sehen wollen. Gerade weil prinzipielle "wahlmöglichkeiten" auch in einer "Postdemokratie" erhalten bleiben.

Es könnte damit zu einer selbstverstärkenden Kaskade solcher Wünsche und Erwartungen kommen.
Begrenzt werden kann dies wiederum nur durch ein starkes Institutionengefüge.
Gerade das aber wird indirekt als "Grund" für die Wandlung zur exekutivlastigen "leadership democracy" angeführt - ein im Mindesten bestehendes Spannungsfeld ist zu erwarten und kann also auch dadurch nicht aufgehpben werden, wenn der Weg zur "autoritären Herrschaft" nicht beschrtitten werden soll.

Interessant auch die Ansicht, "[...] Bürger würden den Wert der Handlungen erwartungsgemäß ex post anerkennen. [...]".
Output-Steuerungen des politischen Prozesses ändern aber nichts an den Grundproblemen, in Reaktion auf welche sie an sich aufs Schild gehoben werden: Pluralisierung der Lebenswelten, Ökonomisierung des Politischen durch raumgreifende Markterfahrung und -steuerung sowie geringere Verhandelbarkeit politischer Erwartungen der Bürger.
So müssen solche Ansätze entweder "erziehen", also überzeugen, oder benötigen den ex-ante unmündigen und ex-post mündigen, "verständigen" Bürger.
Weshalb die Einsicht eines Bürgers gerade nach einer von ihm nicht getroffenen Wahl und den von ihm zu tragenden Konsequenzen so viel intensiver Ausgeprägt sein sollen, erschließt sich mir nicht.
Hier muss man auch ein spezifisches Menschenbild zur Funktionsgrundlage annehmen: Es spricht nämlich nichts dafür, dass passive Bürger ihren Willen in Input-legitimierenden Systemen sehr rege und damit "entscheidungsgefährdend" vertreten, während ebendies Voraussetzung für die ex-post Zustimmung zu einer Entscheidung geradezu angenommen zu werden scheint.

Etwas wichtiges, damit in Verbindung stehendes ist nicht unproblematisch: Zunächst definieren "Experten" und externe Zirkel/Kreise was politisch-inhaltlich "wichtig" sei. Themensetzungen und -befassungen erfolgen zwar weiterhin durch das Parlament, doch eine kritisierte Verlagerung ist eher wahrscheinlich.
Des Weiteren ergeben sich Fragen nach der Steuerbarkeit des Systems selbst. Und zwar nach "postdemkratischen" Entscheidungen des politischen Systems.
Die "Änderungsfähigkeit", bzw. Systemdynamik dürfte zugunsten von bis zu einem geiwssen Grade durchaus wünschenswerter Stabilität abnehmen.
Dem soll wiederum der "leader" entgegen wirken.
Konsequent zuende gedacht läuft das auf einen abgehobenen politischen Steuerungsprozess hinaus, in dem bestenfalls der "political leader" über Themen, Prozesse und Implementationen bestimmt.
Die Kosten einer "großen Reform", deren Blockade Befürworter gerade aufheben und zur Revitalisierung der Systemdynamik betriagen wollen, bedingen ab einem gewissen Punkt Stabilität bzw. Statik.
So der "lernende" Bürger am Ende der Implementation einer politischen Entscheidung nicht zufrieden wäre, könnte es zur Artikulation dieser Unzufriedenheit kommen.
Möglicherweise möchte man sogar zum Status Quo ante zurückkehren, was allerdings mit den "hohen Rückkehrkosten" negiert werden könnte. Gerade vermeindliche "Zwänge" wie Haushalt, Währung oder Schulden ließen sich dafür sehr leicht instrumentalisieren.
Instrumente wie eine "Schuldenbremse" tragen zur Legitimierung einer solchen Ansicht bei.

Somit könnte dem Bürger kommuniziert werden, dass die Opportunitätskosten nicht nur geringer, sondern nach einer "Einarbeitungszeit" auch ein besseres Funktionieren des neuen Systembestandteils zu erwarten sei.
Belastbare Zahlen müssen und können dafür sinnvollerweise nicht geliefert werden und ein Verweis auf die "positivere Vergangenheit" wird anhand des für die Reform notwendig gewesenen Agendasettings nur wenig Chance auf Gehör haben.
Das bedingt also den Beibehalt von einmal getroffenen Entscheidungen, sofern sie nicht exklatant und für eine überragende Mehrheit sichtbar "schlechter" sind, als denkbare Alternativen.
Somit trägt die Idee der "Postdemokratie" gerade zum Phänomen bei, welches sie ursprünglich auflösen will: "Unreformierbarkeit" des politischen Systems.
Was aber nach den "richtigen" Inhalten vermutlich gar nicht mehr so schwer wiegen dürfte.
Dadurch wird der Bürger nicht nur "de facto" entmachtet, wie von Kritikern angeführt. Der nachherige denklogische Alternativenmangel verunmöglicht auch die Entfaltung der demokratischen Output-Komponente. Zu entscheiden gibt es nichts mehr und eine Rückkehr ist ab einem gewissen Kosten- und Implementationsniveau zumindest sehr erschwert.

Die ursprüngliche, parlamentarische und regierende, Mehrheit kann zwar weiterhin abgewählt werden.
Doch ist das in diesem Zusammenhang geradezu unerheblich, ja grotesk: Die neuen Mehrheiten müssen aufgrund externen Zwänge am Weiterbestehen des vorher exekutierten interessiert sein.
Dazu tragen u.a. genannte Kosten bei.
Das ist auch, was zu den "Ähnlichkeiten" der Parteien beiträgt.
Das aktuelle Beispiel der FDP ist durchaus instruktiv: Die Wahl gewonnen mit Steuersenkungsankündigungen, Senkung der Sozialversicherungsbeiträgen und ähnlichem, bedingen "Zwänge" wie (Neu-)Verschuldung nun ein Verhalten, welches alte Entscheidungen nicht nur verteidigt, sondern nortwendig auch eigene Haltungen verändern muss.
Schließlich muss die Partei gerade ihrer (Wähler-)Klientel gegenüber kommunikativ-argumentativ auftreten.
Dies wiederum bedingt die Ansicht von "Handlungsunfähigkeit" und "Unentschlossenheit" durch die Bürger.
Das zeigt, dass das Konzept der "Postdemokratie" kein eigentlicher Ausweg aus diesem Dilemma darstellt.

Bis zu einem gewissen Punkt war dies schon immer so und nennt man "Systemstabilität" oder "Verlässlichkeit".
Die neue Qualität wird durch die Reformkosten und vorallem die folgen für die spätere, post-election Legitimation bestimmt.
So nimmt die Bedeutung der Neuwahl einer parlamentarischen Mehrheit und damit indirekt einer Regierung ab.
Das ist in etwa das, was mit der Chiffe, die FDP müsse erst einmal "in der Regierung ankommen" gemeint ist.
Konformes, anpassendes Verhalten.
Dies wird medial teilweise geradezu erwartet und janusköpfig in späterem Atemzug kritisiert: Ununterscheidbarkeit der Akteure.

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