Mittwoch, 10. April 2013

ALGII und Krankheit - Anspruch und Wirklichkeit der Beamten

Am Montag wurde im Deutschlandradio über die Verschärfung der Kontrollen von Attesten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Krankschreibungen durch Ärzte für Arbeitslosengeld II Empfänger berichtet.

Interessant dabei, mal wieder, wie der Bericht eingeleitet wurde.
Das Analogon des "Arbeitnehmers" musste herhalten.

Der "Arbeitnehmer" müsse bei einer Erkrankung dem Arbeitgeber zeitnah eine Krankmeldung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung abliefern. Da das nichts neues und doch allgemein anerkannt und selbstverständlich sei, wolle nun auch die Arbeitsverwaltung schärfere Regeln aufstellen bzw. stärker kontrollieren.
Im Falle des Leistungsbeziehers sei "der Steuerzahler" ja sowas wie der "Arbeitgeber" und habe daher im Sinne der Gesellschaft ein Nachweisrecht.
Der ALGII-Empfänger dürfe und müsse sich also glücklich schätzen, überhaupt Geld zu bekommen und solle bei solch geringen Auflagen oder Nachweispflichten nicht aufbegehren.

Auch hier wurde mal wieder nicht verstanden, oder bewusst ignoriert, dass das Arbeitslosengeld II eine Leistung zur Existenzsicherung darstellt.
Diese ist unveräußerbar, auch im Sinne des Sozialstaatsgebots, Menschenwürdeartikel des Grundgesetzes bzw. ständiger Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG).

Genau wie die Praxis der Sanktionen konsequent zuende gedacht als verfassungswidrig gelten muss, falls der Regelsatz des ALGII den allgemeinen, gesellschaftlich übereinkünftig bestimmten und staatlich zu garantierenden Mindessatz, das Existenzminimum, darstellt, kann auch vom "Steuerzahler" als "Sachwalter eigener Interessen" keine Rede sein.
Der Steuerzahler als Individuum, welches nicht ausgebeutet werden und daher für eine "Leistung" eine "Gegenleistung" erwarten soll und dürfe, tritt hier hinter das Lebens- und Existenzrechts des Individuums ohne Arbeit: Dem Leistungsempfänger des Arbeitslosengeldes II.
Auch die grundsätzliche Zahlungspflicht der Allgemeinheit, der arbeitenden Bevölkerung, kann solche Rechte und Pflichten dieser nicht beeinträchtigen oder abschaffen; dies könnte allein durch allgemeingesetzliche und verfassungsgebende Versammlungen beschlossen und damit Gesetze und Verfassung geändert werden.
Im Hinblick auf geringere Argumentationsebenen sollte eine andere Sache ebenso einsichtig sein: Mangelnde Konkretion und Asymmetrie.
Auf der einen Seite steht ein Individuum, konkret, direkt, mit unabweisbarem Hilfebedarf.
Auf der anderen Seite ein Sozialstaat, verkörpert in der Beamtenschaft als angeblichem "Sachwalter" der gesellschaftlichen Interessen - oder des "Geldes der Steuerzahler" im Sinne der "politischen Klasse".
Letzteres aber ist anonym, kalt, glatt, austauschbar.
Es gibt keinen unabweisbaren Bedarf, alles unterliegt noch viel mehr Interpretation einzelner Ebenen.

Und zum Schluss noch ein Schmankerl.
Die Sanktionszahl ist im letzten Jahr auf über 1 Million Fälle gestiegen.
Jeder ALGII-Empfänger muss jeden Pups, jede menschliche Ausdünstung nachweisen.
Im Bekanntenkreis trug es sich zu, dass eine gesundheitliche Überprüfung durch den "Medizinischen Dienst der Bundesagentur für Arbeit" angeordnet bzw. "vereinbart" wurde.
"Vereinbart" wird ja meist nichts, aber sei es drum.
Im konrekten Falle gab der mir bekannte Mann alle erforderlichen Unterlagen wie gefordert in einem separaten Umschlag bis zum Stichdatum ab.

Bis einschließlich sechs Monate später gab es für den Vorgang keine Bestätigung, keinen Eingang, keinen Hinweis zu weiterem Verfahren oder Abschlussmitteilung.
Als er dann eine Arbeitsvermittlerin, die inzwischen neu zugeteilt wurde, diesbezüglich befragte, antwortete diese sinngemäß, dass sie nicht wisse und auch nicht wissen könne, was mit den Unterlagen passiert sei.
Sie könne zwar den damals verantwortlichen Mitarbeiter konsultieren, dieser werde sich jedoch erwartbar nicht daran erinnern und deshalb habe das keinen Sinn.
Man könne aber ein erneutes Gutachten in Auftrag geben - mit weiteren Unterlagen, etc.

Man merkt an dem Falle also:
Es herrscht eine groteske, absichtlich schikanierende Asymmetrie vor. Der Leistungsempfänger hat de facto keine Möglichkeit sich irgendwo zu beschweren, falls er zukünftige Treffen und Gespräche noch in halbwegsen Kontexten wahrnehmen möchte.
Den Mitarbeitern sind einige Dinge völlig egal, es interessiert einfach nicht, solange es keine Sanktionsmöglichkeit des Leistungsbeziehers gibt.
Hier sind Anreizssysteme falsch formuliert, das Individuum steht dem Beamtenapparat hilflos gegenüber.

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