Montag, 21. April 2008

Schwarz/Grün in Hamburg - neue Etappe im Normalisierungsprozess

Am Donnerstag, 17.04.08, gaben die Sptizen von CDU und Grünen der Hansestadt Hamburg die erfolgreiche Finalisierung der Koalitionsgespräche bekannt.

Dies markiert eine neuerliche Marke Normalisierungsmarke in der Geschichte des bundesdeutschen Parteiensystems.

Speziell die SPD steht vor noch größeren Herausforderungen als vorher.


Von manchen, wie [url=http://kommentare.zeit.de/commentsection/url/2008/15/Farbenspiele]Brigitte Fehrle von der ZEIT[/url](1), wird das "Ende der Lager" herbeigesehnt - frappierend an das "Ende der Geschichte" erinnernd - andere sehen die nun beschlossene Koalitionsregierung von Grünen und CDU nüchterner.

Zu letzteren zähle auch ich mich.

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Von manchen, wie [url=http://kommentare.zeit.de/commentsection/url/2008/15/Farbenspiele]Brigitte Fehrle von der ZEIT[/url](1), wird das "Ende der Lager" herbeigesehnt - frappierend an das "Ende der Geschichte" erinnernd - andere sehen die nun beschlossene Koalitionsregierung von Grünen und CDU nüchterner.

Zu letzteren zähle auch ich mich.
Trotzdem ist nicht zu unterschätzen, welche Veränderungen sich damit speziell im Parteiensystem selbst und innerhalb der einzelnen Parteien ergeben werden.

[b]Die Grünen[/b] sind inhomogen wie jede andere Gruppierung. Es existieren die eher linken wie Jürgen Trittin, Robert Zion und Claudia Roth und gemäßigt-rechte bzw. rechts-liberale wie der ehemalige Grüne Oswald Metzger (mittlerweile CDU), Renate Künast oder Fritz Kuhn.
Die Grüne Partei braucht Bündnisse mit der CDU. Rein theoretisch gibt es für eine Partei keinen Grund solche zumindest auf Landesebene nicht zu schließen; allenfalls Friktionen in der eignen Mitglied- oder Wählerschaft sollten zurückschrecken lassen.
Diese sind in Hamburg aber nicht zu erwarten.

Gerade für eine mögliche Entscheidung - wie sie von einigen Politikwissenschaftlern mit Hinweis auf die Funktion als "Zünglein an der Wage" dargetan wird - innerhalb der Grünen und der Grünen Partei als solcher ist solch ein Bündnis wichtig: Die konservativ-liberalen Kräfte werden gestärkt und können die Zusammenarbeit mit der CDU auf Landesebene testen und versuchen die Grüne Mitgliedschaft, zumindest aber die Wählerschaft und das inhaltliche Output dieser Koalition zu ihrer Seite zu wenden.
Es ist im übrigen davon auszugehen, dass es eine solche Entscheidung gar nicht geben wird. Strategisch ist es weit sinnvoller sich zur Union zu öffnen, die linken Türen zur SPD aber nicht zu verschließen und somit keine eindeutige Präferenz zu ziehen.

[b]Wobei wir gleich bei der SPD sind[/b]. Die SPD kasteit sich durch das selbstverordnete Rede- und Koalitionsverbot mit der Linkspartei selbst. Dies ist ein klarer strategischer Fehler, nicht nur im Hinblick auf die Öffnung der Grünen zur CDU in Hamburg, sondern auch prinzipiell.

Im ostdeutschen Parteiensystem ist die Linkspartei quasi eine "regionale Volkspartei", Koalitionsregierungen mit ihr nur eine Frage der Zeit. Geht man davon aus, dass sogenannte Jamaika-Bündnisse in Ostdeutschland deutlich weniger Zustimmung genießen dürften als im Rest des Landes, so bleiben für die SPD machtperspektivisch  - ob der eigenen und Schwäche der FDP - nur Große Koalitionen oder Opposition.
Es stellt sich dann die Frage, wie die SPD zu stärken sei: In der Opposition oder in Regierungsverantwortung?
Die, die in der SPD für letzteres sprechen, müssen sich mittel- und langfristig auf Koalitionen mit der Linkspartei vorbereiten oder eigenes Profil bis zur Unkenntlichkeit verwischen.

Mit seiner "missglückten" - die von mir einzig im Zeitpunkt als missglückt bezeichnet werden kann - "Öffnung" zur Linkspartei hat Kurt Beck eine unter aktuellen personellen Konstellationen betrachtete Koalitionsregierung im Bund 2009 vollends ausgeschlossen.
Allerdings hat sich die SPD dies folgerichtig allein zuzuschreiben, schließlich hatte man mindestens zwei Jahre zeit einen innerparteilichen Kompromiss in der Haltung zur Linkspartei zu erreichen der nicht bei "Kommunisten" und "Stalinisten" halt macht.
Es gibt diese "alten Kader" in der Linkspartei ohne Zweifel und auch Sub-Organisationen wir die "Kommunistische Plattform" sind ob ihrer möglichen Verfassungsinkonformität kritikwürdig.
Rein strukturell gesehen ist sie aber mit Vereinigung von WASG und PDS zum strukturellen Gegner im Parteiensystem geworden. Dem muss man sich stellen. Teile der SPD, wie Klaus Wowereit u.a., tun dies bereits und sehen auf mittlere Frist Koalitionspotenzial.

Momentan wird über den "Preis" einer Zusammenarbeit verhandelt: Wer muss sich wie verändern und wie weit muss die Linkspartei in die Mitte und die SPD nach links rücken?(2)
Ich wiederhole aber eine meiner Thesen, nach welcher das Entstehen der Linkspartei erstens folgerichtig und zweitens - und wichtiger - für die SPD auch sinnvoll sein kann. Die SPD deckt mit ihrer stärker Orientierung hin zur Angebotspolitik, "Eigenverantwortung" und "individuelle Leistungsfähigkeit", symbolisiert durch die Agenda 2010, nicht mehr alle Klientel ab; speziell die linken und radikal-linken Schichten inkl. der sogenannten "Unterschicht" leiden an zunehmender Ignoranz durch die SPD mit möglicherweise folgerichtigem Hinwenden zur Linkspartei.(3)
Eine Zusammenarbeit mit dieser könnte sich also langfristig als gewinnbringend darstellen, speziell wenn die SPD - was ich annehme - nicht in der Lage sein wird, diese Lager (wieder) einzufangen.
Etwas ähnliches wird derzeit bei der Öffnung der CDU zu den Grünen (GAL) in Hamburg diskutiert. Man geht davon aus, dass die Union hierbei Stimmen in gutsituierten, bürgerlich-linken städtischen Milleusn gewinnen kann ohne eigene ländliche Milleus zu verlieren.(4) Inwiefern dies erfolgreich sein wird, wird Gegenstand politikwissenschaftlich-soziologischer Beobachtung sein.


Insgesamt gesehen kann man die Veränderungen im bundesdeutschen Parteiensystem als Normalisierungstendenz im Kontext europäischen Wandels politischer Systeme verstehen: Es ist nichts seltenes oder neues, dass eine oder mehrere Parteien links neben der Sozialdemokratie existieren. Problematisch für ebendiese linken Parteien und Lager wird erst deren eigenes Scheitern wie gerade in Italien zu beobachten; das Auseinanderbrechen der "reformorientierten" politischen Linken macht ein Comeback des rechts-konservativen Berlusconi möglich. Letzterer bedient sich im übrigen nicht weniger geschickt Propaganda und Populismus als die Linkspartei in Deutschland - versprach er doch vor der Wahl Einkommenssteuersenkungen und ganze Steuerartenstreichungen in einem Haushaltsklammen Italien.

Die Öffnung der CDU zu den Grünen ist ein richtiger Schritt und wird nicht zur "Ernüchterung" führen, wie von manchen in der Union erwartet.(5) Diese Worte hängen die Erwartungshaltung künstlich nach unten und sollten eher positive Überraschungen a la "wir dachten nicht, dass es so gut funktionieren würde" ermöglichen.

Die SPD hat damit natürlich ein Problem und reagiert entsprechend aufgescheucht. So warf Hubertus Heil den Grünen "Beliebigkeit" vor, verabschiedeten sie sich doch von für ihn als zentral definierten Vorhaben und Umsetzungsansprüchen mit der SPD. Beachtet man kleinere Details des hamburgischen Koalitionsvertrags, wie z.B. dass ein "längeres gemeinsames Lernen"(6) speziell in den Stadtteilschulen zielführend im Sinne grüner Programmatik sein dürfte.

Es dürfte zukünftig weniger selbstverständlich gelingen die Grünen in der Rolle als Koalitionspartner für Rot/Grün zu vereinnahmen. Vielmehr könnte ein Zeit- und Inhaltsvorsprung durch Versuch einer Schwarz-Grünen Koalition gegenüber einer Rot-Rot-Grünen Variante, die im Bund nicht vor 2013 kommen dürfte, die Grünen zu einer stärker autonomen Kraft im Parteiensystem zwischen der Mitte-Rechten Union und Mitte-Linken SPD machen.
Für die FDP besteht die auch nicht unspannende Frage, wie sie sich positionieren wird. Es steht jedoch nicht zu erwarten, dass die Grünen der FDP den Rang als "Wunschpartner" der Union werden ablaufen können.
Andererseits stellt sich bei beschleunigtem Zustimmungsabfall der "Volksparteien" Kirchner'schen Typs auch die Frage, inwiefern solche "Wunschvorstellungen" weiterhin welche Ansprüche rechtfertigen können.

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(1): Fehrle, Brigitte: Die neue Farbenlehre. Die Bürger haben die Wahl: Das künftige Fünfparteiensystem kann uns den Abschied vom alten Lagerdenken bescheren – wenn wir nur wollen, in: Die ZEITOnline 02.04.08 http://www.zeit.de/2008/15/Farbenspiele; letzter Zugriff: 20.04.08 20:00.

(2): dazu ein aufschlussreicher Beitrag im APUZ anlässlich Bundestagswahl 2005: Vester, Michael:
Soziale Milieus und Gesellschaftspolitik in: Aus Politik und Zeitgeschichte Jahrgang 2006 / Ausgabe 44-45 2006, http://www.reichstag.eu/dasparlament/2006/44-45/beilage/002.html, letzter Zugriff: 20.04.08 21:20 Uhr.

(3): Walter, Franz: Die Lautsprecher der Unterschicht. in: SpiegelOnline 12. November 2006, http://www.spiegel.de/politik/debatte/0,1518,448260,00.html, letzter Zugriff: 2ß.04.08 21:20 Uhr.

(4): Schlieben, Michael: Schwarz-Grün für Deutschland in: ZEIT online, 18.4.2008 - 11:27 Uhr, http://www.zeit.de/online/2008/17/schwarz-gruen-reaktionen, letzter Zugriff: 20.04.08 21:30 Uhr.

(5): so z.B. Erwin Huber: "„Kein Prototyp, der in Serie gehen kann“ in: FAZ.NET 18.04.08, http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~ECC9D93883B804BC69B14FA2E7C30D7C3~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_googlefeed, letzter Zugriff: 20.04.08 21:30 Uhr.

(6): Vertrag über die Zusammenarbeit in der 19. Wahlperiode der Hamburgischen Bürgerschaft
zwischen der Christlich Demokratischen Union,
Landesverband Hamburg und Bündnis 90/Die Grünen,
Landesverband Hamburg, GAL, http://www.gruene-hamburg.de/cms/default/dokbin/229/229457.koalitionsvertrag.pdf, S.7, letzter Zugriff: 20.04.08 21:30 Uhr.

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